Mister Mädchen für alles
nicht einfach gehen lassen.» In ihren Augen lag ein bestürzter Ausdruck.
«Ist alles in Ordnung mit dir?» Saff legte ihr die Hand auf den Arm. «Ist etwas Schlimmes geschehen?»
«Ja, aber ich denke, es ist jetzt vorbei.» Alex blickte sie lächelnd an. «Es wird alles wieder gut. Tatsächlich ergibt jetzt alles einen Sinn. Es fügt sich zusammen. Und Saff …» Sie küsste ihre Freundin herzlich auf die Wange. «Du bist einfach wundervoll gewesen.»
Alles, was sie sonst noch hätte sagen wollen, wäre in der plötzlich anschwellenden Musik auf der Bühne untergegangen, und so drehten sie sich beide um, als die Show losging. Was dann folgte, war so beeindruckend, dass Saff vergaß, dass sie die ganze Nacht auf den Beinen gewesen war, dass sie seit sieben Uhr abends nicht mehr gesessen hatte und dass es Frühstückszeit in Brixton war. Begleitet von einem hämmernden Rhythmus, den Saff von einer der CDs wiedererkannte, die Oscar ständig hörte, kam eine Gruppe von Tänzern auf die Bühne geschwärmt. Alle waren in verschiedene Farben und Outfits gekleidet, die eine Mischung aus Sportbekleidung, Alltagsgarderobe und einem weiteren Stil darstellten, den man wohl, wie Saff glaubte, als «urban» bezeichnete. Sie wirbelten herum, schlugen Räder, tanzten und präsentierten sich. Alle hatten flache Bäuche und endlos lange Beine. Einige Bewegungen waren so erotisch aufgeladen, dass Saff sich rasch nach der Reaktion ihrer Kinder umsah, doch sie konnte nur einen Ausdruck des Erstaunens auf Oscars Gesicht entdecken. Es zeigte nicht die Faszination wie das seines Vaters, der hinter ihm stand. Max war kurz davor zu sabbern.
Projektionen des Zencorp-Logos schwangen auf der riesigen Bildfläche hinter den Tänzern auf und ab und bläuten jedem der Anwesenden den Namen der Firma ein. Die Worte «Urban Active» zuckten über die Fläche. Dashier, dachte Saff, ist schonungslos hartes Verkaufen, und sie beobachtete das Publikum, das sich Notizen auf kleinen Blöcken machte und die Pressemappen auf der Suche nach weiteren Informationen durchblätterte. Blitzende Scheinwerfer tauchten den Laufsteg kurze Zeit in noch grelleres Licht, und sofort kamen die Fotografen geduckt herbeigelaufen, um die besten Perspektiven und Winkel auszuloten. Die nächsten Gestalten auf der Bühne waren komplett in Weiß gehüllt. Kein bisschen Haut war zu erkennen, nicht einmal ihre Gesichter waren bloß, sondern mit feinem, weißen Netzstoff überzogen. Doch ihre Füße steckten in einer prächtigen Auswahl von sportlichen Schuhen, deren Farben an Sommerfrüchte erinnerten. Es waren keine typischen Sportschuhe, aber auch keine modischen Turnschuhe. Etwas in der Mitte, in Pink, Zitrone, Mango und Limettengrün. Die Farben waren so brillant, dass man am liebsten von jeder ein Paar haben wollte. Saff klatschte spontan in die Hände, und als sie bemerkte, dass sie die Einzige war, legte ihr Alex rasch den Arm um die Schultern, um die Verlegenheit ihrer Freundin zu überspielen.
Dann kamen Models – Jungen und Mädchen, in Schwarz und Weiß –, die entweder Jeans, hübsch geschnittene Hosen, Röcke oder sogar Hosenanzüge zu einzelnen Stücken aus der Kollektion trugen. Saff konnte sich fast selbst darin sehen, obwohl sie bestimmt zehn Jahre zu alt dafür war.
«Wie findest du es?» Alex hatte sich zu ihr herabgebeugt und sprach ihr direkt ins Ohr, um die Musik zu übertönen.
«Es ist so clever, Alex. Einfach clever. Millie wird mich ewig darum anbetteln. Und die Kunden werden von den Sachen begeistert sein!»
«Woher weißt du das?», fragte Alex mit einem nervösen Lachen. «Die Leute hier scheinen mir ausgesprochen wenig Begeisterung zu zeigen.» Saff sah sich unter den Journalisten um und musste Alex recht geben. Sie starrten zwar alle auf die Bühne, aber ihre Mienen waren unergründlich. Eine zierliche Frau in Schwarz mit einer Bobfrisur und Halbmondbrille sprach etwas in ein kleines Diktiergerät. Es hätte sogar ihr Handy sein können. Ein ohrenbetäubendes Rauschen zog Saffs Aufmerksamkeit ruckartig zurück zur Bühne, wo ein Funkenregen aus silbrigem Feuerwerk im hinteren Teil losgegangen war, und aus den Rauchschwaden erschien Bettina Gordino.
«Gott, sieht sie nicht toll aus?», rief Saff, als das klapperdürre Model wie ein hochgezüchtetes Luxuskätzchen über den Laufsteg schritt. Die Fotografen spielten verrückt und versuchten, das wunderschöne Gesicht aus jedem erdenklichen Winkel aufzunehmen, das nun vom Schein der
Weitere Kostenlose Bücher