Mister Perfekt
Kandidaten hätten sie auf Kellman zuallerletzt getippt.
Derek Kellman, dreiundzwanzig Jahre alt, war die Fleisch gewordene Definition der Worte Langweiler und Spinner . Er war groß, schlaksig und bewegte sich mit der Grazie eines betrunkenen Storches. Der Adamsapfel stach so prägnant aus seinem dünnen Hals, dass man meinen konnte, er hätte eine Zitrone verschluckt, die sich in seiner Kehle verklemmt hatte.
Sein rotes Haar sah nicht so aus, als hätte es schon jemals Bekanntschaft mit einer Bürste gemacht; an manchen Stellen klebte es platt am Schädel, woanders stand es stachelig ab: ein unheilbarer Fall von Federbett-Fassonschnitt. Aber am Computer war er ein absolutes Genie, und eigentlich konnten ihn alle vier irgendwie gut leiden, auf mütterliche oder großschwesterliche Weise. Er war schüchtern, verklemmt und hatte von nichts Ahnung außer von Computern.
Im Büro wurde gemunkelt, er hätte mal gehört, dass es zwei Geschlechter gebe, sei aber nicht sicher, ob an dem Gerücht was dran war. Kellman war der Letzte, den man als Hinternkneifer verdächtigen würde.
»Unmöglich«, widersprach Luna.
»Das hast du dir ausgedacht«, unterstellte ihr T.J.
Marci lachte ihr kehliges Raucherlachen und zog innig an ihrer Kippe. »Ich schwöre bei Gott, so war es. Dabei bin ich nur im Korridor an ihm vorbeigegangen. Und ehe ich mich versehe, grabscht er mit beiden Händen nach mir, bleibt stocksteif stehen und hält meinen Hintern umklammert, als wäre es ein Basketball und er wollte anfangen zu dribbeln.«
Die Vorstellung löste neues Gekicher aus. »Und wie hast du reagiert?«, fragte Jaine.
»Ehrlich gesagt gar nicht«, gestand Marci. »Das Problem war, dass dieser blöde Sack Bennett zugeschaut hat.«
Die Übrigen stöhnten auf. Bennett Trotter genoss es, auf all jenen herumzuhacken, die er für seine Untergebenen hielt, und der arme Kellman war sein Lieblingsopfer.
»Was sollte ich denn machen?« Marci schüttelte den Kopf. »Ich konnte diesem Arschloch doch keine zusätzliche Munition gegen den armen Burschen verschaffen. Also habe ich Kellman die Wange getätschelt und ihm was Freundliches gesagt, so ähnlich wie: ›Ich wusste gar nicht, dass dich so was interessiert‹. Woraufhin Kellman röter geworden ist als seine Haare und spontan ins Männerklo abgetaucht ist.«
»Und Bennett?«, fragte Luna.
»Er hat dieses eklige Grinsen aufgesetzt und trompetet, wenn er gewusst hätte, dass ich mich sogar mit Kellman abgeben würde, um meinem Notstand abzuhelfen, hätte er mir schon längst seine Dienste angeboten.«
Das löste eine Augenroll-Lawine aus. »In anderen Worten, er war ein Arschloch wie eh und je«, stellte Jaine angewidert fest.
Ideal und Wirklichkeit waren halt zwei Paar Stiefel, und in Wirklichkeit waren die Menschen eben so, wie sie waren.
Manche von ihren Kollegen bei Hammerstead würden immer geifernde Säcke bleiben, daran würde kein Verhaltenstraining der Welt etwas ändern. Doch die meisten Männer in der Firma waren okay, und letzten Endes glich sich sowieso alles aus, weil einige ihrer Kolleginnen wahre Hyänen mit einem ganzen Pelz auf den Zähnen waren.
Jaine hatte aufgehört, auf Perfektion zu hoffen, an ihrem Arbeitsplatz oder sonst wo. Luna fand ihre Einstellung zu zynisch, aber Luna war die Jüngste unter ihnen, und ihre rosa Brille war noch nicht zerplatzt - ein bisschen ausgebleicht vielleicht, aber noch nicht zerplatzt.
Oberflächlich betrachtet hatten die vier Freundinnen außer ihrem Arbeitgeber nichts gemeinsam. Marci Dean, Buchhaltungschefin, war einundvierzig und die Älteste des Quartetts. Sie war dreimal verheiratet und geschieden und bevorzugte seit ihrer letzten Stippvisite im Gerichtssaal weniger formelle Arrangements. Die Haare hatte sie platinblond gebleicht, ihrer Haut war inzwischen die Kettenraucherei anzusehen, und ihre Kleider saßen stets ein bisschen zu knapp.
Sie hatte einen Hang zum Bier, zu einfachen Arbeitern, derbem Sex und stand zu ihrer Schwäche fürs Bowling. »Ich bin der Traum jeden Mannes«, sagte sie oft lachend. »Ich bin ein Bier-Fan mit einem Champagner-Etat.«
Marcis gegenwärtiger Lebensgefährte war ein Kerl namens Brick, ein grober, muskelbepackter Gorilla, den keine der drei anderen leiden konnte. Insgeheim fand Jaine, dass der Name in diesem Fall wohl Programm war, denn Brick war tatsächlich blöd wie ein Backstein. Er war zehn Jahre jünger als Marci, arbeitete höchstens gelegentlich und schlug meistens die Zeit
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