Mit 12 fühlt man ganz anders
Verzweiflung nicht. Ruhig und sachlich erklärte er ihr, wie sie mit der Zahnspange umgehen mußte. So gelang es Katja, ein bißchen ruhiger zu werden. Ein bißchen, denn es änderte nichts daran, daß sie sich einfach scheußlich fühlte, häßlich, komisch, lächerlich und zum In-ein-Mauseloch-Verkriechen. Nur raus hier! Keinen Augenblick länger wollte sie von ihm so gesehen werden, er mußte sie ja gräßlich finden!
Mami schien zu erraten, wie es in ihrer Ältesten aussah: Sie nahm sie sanft am Arm, verabschiedete sich von dem Zahnarzt und lenkte seine Aufmerksamkeit von Katja ab, die ihre nun mit Gewalt hervorbrechenden Tränen hinter einem Taschentuch verbarg. Noch einmal fühlte Katja seine Hand aufmunternd auf ihrer Schulter.
„Nimm’s nicht tragisch, Katja, am Anfang ist das sehr lästig und ungewohnt, aber bald wirst du es gar nicht mehr merken!“
Katja nickte stumm; sie hob ihren Blick kaum über den Rand des Taschentuchs und schob sich, so schnell sie konnte, nach draußen. Mami folgte ihr, und kaum waren sie auf der Straße, legte sie Katja den Arm um die Schultern und drückte sie sanft an sich.
„So“, sagte sie fröhlich, „auf den Schreck hin müssen wir erst mal feiern. Was hältst du von einem riesigen Eisbecher und einem Stück Torte mit Schlagsahne? Und anschließend kaufen wir dir was Hübsches zum Anziehen.“
Katja schniefte nur, doch sie drängte sich eng an Mami und legte ihren Kopf an die Schulter der Mutter, das war Zustimmung und Dankesbezeigung zugleich.
Im Café Cremer gab es die traumhaftesten Torten, die man sich vorstellen konnte, und die Stücke hatten eine beachtliche Größe. Eigentlich hatte Katja geglaubt, sie würde mit der Spange überhaupt nicht essen können, aber nach den ersten Bissen klappte es erstaunlich gut.
„Ich werde noch ein paar Stücke zum Üben brauchen“, sagte sie grinsend, und Mami lachte erleichtert auf. „Solange dir nicht schlecht wird, soviel du willst!“ Dann bestellte Mami eine Piccoloflasche Sekt mit zwei Gläsern. Katja machte große Augen.
„Was soll denn das? Hat hier einer Geburtstag?“
„Das nicht. Aber wir müssen deine neue Begleiterin doch taufen, oder? Wie soll denn der Quälgeist heißen?“ Katja führte den Zeigefinger zum Mund und betastete das Ungetüm von einer Seite zur anderen. Es klemmte und drückte noch ekelhaft, vermutlich würde es einige Tage dauern, bis sie sich daran gewöhnt hatte.
„Ich schlage vor...“ Immer noch hatte sie beim Sprechen das Gefühl, die Worte über eine kochendheiße Kartoffel hinwegzubalancieren; das „schl“ blubberte schlürfend aus den Mundwinkeln. „Also, ich fände ,Klemmentine’ gut.“
„Ausgezeichnet! Das paßt prima. Also?“ Mami nahm eines der beiden Gläser, die die Kellnerin gerade füllte, und gab Katja das andere in die Hand. „Du kleines, ekliges Monstrum, wir begrüßen dich in der Familie und taufen dich Klemmentine. Prost!“
„Prost!“
„Und nun gehen wir einkaufen. Ich habe da neulich einen zitronengelben Overall gesehen, der müßte dir gut stehen. Bedienung! Zahlen bitte!“
Katja fühlte sich auf einmal ungeheuer wohl. In diesem Augenblick war es, als sei sie mit Mami allein auf der Weit und als gäbe es im Leben der Mutter nichts, das wichtiger wäre als sie, Katja! Das war einfach wunderbar. „Muttern“, sagte Katja glücklich, „du bist die Größte!“
Das ganze Leben lohnt sich nicht
Der Tag fing schon so an. Alles ging schief. Im Badezimmer lag Katjas Handtuch auf dem Boden; einer der Zwillinge hatte es als Putzlumpen benutzt, und so sah es auch aus. Dann ging der Reißverschluß ihrer Jeans kaputt. Und der Overall lag ungebügelt im Wäschekorb.
Als Katja an den Frühstückstisch kam, herrschte eine Stimmung wie bei einem Begräbnis. Mami und Papi schwiegen sich eisig an. Es kam selten vor, daß sie eine Auseinandersetzung hatten, und passierte es doch einmal, dann richteten sie es so ein, daß die Kinder es nicht merkten. Aber heute war ganz dicke Luft zwischen ihnen. Mami hielt sich an der Kaffeetasse fest und aß keinen Bissen. Papi schlang sein Brötchen so hastig in sich hinein, daß ihm fast die Luft wegblieb. Dann knallte er die Serviette auf den Tisch, sprang auf und verließ die Wohnung.
Kaum war er weg, hatte Mami an allem und jedem etwas auszusetzen.
„Markus, hör auf, mit deiner Milch herumzukleckern! Wie sieht dein T-Shirt schon wieder aus, Fips? Du hast es noch keine Viertelstunde an, und schon ist es total
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