Mit 12 fühlt man ganz anders
„Yassir“?
Natürlich ließ sich Katja nichts davon anmerken, daß ihre Gedanken unentwegt um ihr neues Idol kreisten. Sie gehörte nun mal nicht zu den Mädchen, die mit verträumten Blicken und sehnsüchtigen Seufzern von ihren Stars schwärmten, und wenn sie so ein Geheimnis mit sich herumtrug, neigte sie eher dazu, den heimlich Angebeteten vor den anderen herunterzumachen. So sprach sie auch in der Klasse nur davon, daß sie in den nächsten Tagen die gräßliche Folter über sich ergehen lassen müsse, ihre Zahnspange eingesetzt zu bekommen.
„Hoffentlich kennt ihr mich dann noch!“ sagte sie düster zu den Freundinnen, „und lauft nicht davon, weil ihr glaubt, Dracula nähere sich euch, im Begriff, seine Beißerchen in eure zarten Hälse zu graben!"
„Mach dir nichts draus!“ tröstete Christine sie. „Mich erwischt’s jetzt auch, und Bennie bekommt seine Zahnspange in der nächsten Woche.“
„Wir werden einen Club der Leidensgenossen gründen“, beschloß Katja. „Denkt euch schon mal einen guten Namen aus!“
Als Mami am nächsten Tag mit ihr zum Zahnarzt ging, um sich die Anweisungen des Arztes selbst anzuhören und sich nicht auf Katjas vielleicht allzu großzügige Auslegungen zu verlassen, fühlte Katja ein ganzes Heer von Motten in ihrem Bauch tanzen. Nicht so sehr aus
Angst vor der Behandlung als vor dem Augenblick, in dem Dr. Narouz sich über sie beugen, seine Hände ihr Gesicht berühren würden. Keinen Mucks würde sie von sich geben, wenn es weh tat; sie würde der tapferste, heiterste, bravste Patient sein, den er je gesehen hatte!
Sie mußten etwa eine Viertelstunde warten. Katja starrte auf die Bilder einer Illustrierten, blätterte in regelmäßigen Abständen die Seiten um, ohne zu wissen, was sie gesehen hatte. Als sie ins Sprechzimmer gerufen wurden, waren ihre Hände schweißnaß und zitterten.
Wie hilflos man sich fühlte, wenn man - ein weißes Papierlätzchen um den Hals wie ein Baby - von der Sprechstundenhilfe im Behandlungsstuhl in eine fast liegende Stellung gebracht wurde, aus der man sich kaum noch aufrichten konnte. Katjas Blick wanderte zum Fenster hinaus. Die träge am Himmel dahinziehenden Wolken boten kaum das geeignete Programm, um einen von der inneren Unruhe abzulenken, die einen in diesem Stuhl automatisch überfiel.
Dann hörte sie seine Stimme, und die Welt veränderte sich mit einem Schlag. Er begrüßte Mami, die irgendwo hinter Katja in einer Ecke saß, um nicht zu stören, dann kam er auf sie zu. Er lächelte sie an, als seien sie uralte Freunde.
„Katja, hallo, wie geht’s? Ein bißchen aufgeregt?“
„Nur ein bißchen!“ Sie kicherte.
Warum mußte sie jetzt kichern! Wie albern sich das anhörte! Total verkrampft!
Aber Dr. Narouz schien ihre Verwirrung nicht zu bemerken. Er nahm ihren Kopf, drehte ihn ein wenig zur Seite und bat sie, den Mund zu öffnen. Von nun an schien es ihr, als wäre sie für ihn gar nicht mehr vorhanden. Sie war nur noch ein Mund, ein Gebiß, an dem er herumdrückte, zog und schob, die Spange anpaßte und wieder herausnahm, dies ein paarmal wiederholte, etwas veränderte und wieder probierte. Sie kam sich vor wie ein Automotor, ein kaputter Rasenmäher oder eine Nähmaschine. Konnte er ihr denn nicht ein einziges Mal tröstend in die Augen schauen! Klempner! Und wie das ziepte und drückte! Katja traten die Tränen in die Augen.
„Hat das weh getan?“ erkundigte er sich erschrocken.
„Hm, hm.“ Katja schüttelte den Kopf.
„Wir sind gleich fertig. Dann bist du erlöst.“
Dieses „gleich“ dauerte eine halbe Ewigkeit. Endlich wurde sie aufgerichtet und durfte sich im Spiegel betrachten. Gräßlich sah das aus! Sie hatte das Gefühl, die wulstigen Lippen eines Affen zu haben!
„Na? Ist doch gar nicht so schlimm, siehst du! Wenn du den Mund geschlossen hast, merkt es kein Mensch. Das ist jetzt natürlich noch ein bißchen unangenehm, aber in ein paar Tagen wirst du dich vollkommen daran gewöhnt haben.“
Dr. Narouz lächelte sie aufmunternd an. Katja grinste gequält zurück.
„Tut es irgendwo besonders weh?“
„Besonders? Nein, eigentlich nicht.“
Was war denn das? Sie konnte überhaupt nicht mehr richtig sprechen! Sie stieß mit der Zunge an und sprach, als hätte sie eine heiße Kartoffel im Mund! Katja schluckte verzweifelt die auf steigenden Tränen hinunter.
„Warte, jetzt zeige ich dir, wie du sie herausnehmen und wieder einsetzen kannst.“
Dr. Narouz tat, als bemerkte er ihre
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