Mit 80 000 Fragen um die Welt
Mittelscheitel, und sein grauer Oberlippenbart ist wesentlich breiter als der des Dämons aus dem U-Boot . Abel Basti ist kein Nazi, im Gegenteil: Der Hobbyhistorikermit der schiefen Nase und den etwas zu eng stehenden Augen hat die Spuren aller Braunhemden verfolgt, die in seine Heimat Patagonien geflüchtet sind. Seriöse Studien. Doch irgendwann ist er einer seltsamen Faszination erlegen.
Basti holt seine «eindeutigen» Beweise aus dem Nebenzimmer. Eine gelbe Mappe mit Kopien angeblich offizieller Dokumente. Als «topsecret» sind sie gekennzeichnet, mit «FBI» oder «Chefsache». Basti glaubt, Adolf Hitler habe seinen Selbstmord nur vorgetäuscht und sei bereits im April 1945 über Linz nach Barcelona und einen Monat später nach Argentinien geflüchtet. Er drückt mir ein Buch in die Hand: «Hitler en Argentina», Basti hat es geschrieben. Darin ist ein Schwarzweißfoto. Es zeigt einen alten Mann im Wollmantel, der in der Mittagssonne schlummert. Seine Gesichtszüge erinnern stark an den Wahnsinnigen, der Deutschland einst regiert hat. Unter der Nase trägt der Greis ein ergrautes Hitlerbärtchen, sein schütteres weißes Haar bedeckt er mit einem bestickten Taschentuch. Diese Stickereien gebe es nur in Argentinien, sagt Abel Basti. Das sei doch ein eindeutiger Beweis.
«Woher haben Sie dieses Foto?»
«Es war in einer Zeitung.»
«Und woher hat die Zeitung das Foto?»
Basti blickt mir durch die verdunkelten Gläser seiner goldgerahmten Brille ernst ins Gesicht.
«Das müsste man mal recherchieren.»
Recherchierende Historiker gehen übrigens davon aus, dass etwa dreihundert Nazis tatsächlich ihren Weg nach Argentinien gefunden haben. Darunter Hochkaräter wie Adolf Eichmann, Klaus Barbie oder Josef Mengele. Die meisten kamen über die «Rattenlinien» nach Südamerika– Fluchtrouten, die über Südtirol, Rom und manchmal direkt über den Vatikan nach Übersee führten. Die katholische Kirche besorgte die Visa, das italienische Rote Kreuz fälschte die Pässe und organisierte die Überfahrt. Ja, auch das klingt unglaublich, aber die in diesem Fall wirklich eindeutigen Beweise findet man zum Beispiel im Simon-Wiesenthal-Zentrum in Buenos Aires. Die jüdischen Nazijäger hüten dort die Einreisekarte von Josef Mengele. Der «Todes engel von Auschwitz» kam als Helmut Gregor nach Argentinien und beantragte wenig später unter seinem wahren Namen einen argentinischen Pass. Die Behörden hatten damit kein Problem, und so lebte «José Mengele» jahrelang völlig unbehelligt in der argentinischen Hauptstadt. Er praktizierte dort sogar als Arzt.
Wie das sein kann? Nun, auch das Land der Gauchos war damals eine Diktatur und ihr Präsident Perón ein glühender Verehrer der Nazis und ihrer Ideologie. Er nahm die Faschisten mit Freuden auf und hielt ganz offiziell seine schützende Hand über sie. Vielleicht hoffte er auf deutsche Professoren, Wissenschaftler und geniale Strategen. Perón bekam aber vor allem die Verbrecher.
In Argentinien zog es die Nazis hauptsächlich an drei Orte: in die Gegend um Cordoba im Herzen des Landes, an die Grenze zu Paraguay im Nordosten und in den Süden nach Patagonien. Dort vor allem in den kleinen Gebirgsort San Carlos de Bariloche, die Heimat unseres Freundes und Verschwörungstheoretikers Abel Basti.
Man muss kein Historiker sein, um herauszufinden, warum sich die Nazis ausgerechnet hier so wohl gefühlt haben. Es genügt ein Blick. Bariloche liegt an einem Gebirgssee, eingerahmt von den Anden und dunklen Tannen. Alles sieht genauso aus wie im Berchtesgadener Landoder in Tirol. Im Winter lässt es sich vortrefflich Ski fahren, der milde Sommer lädt zum Wandern ein, und das Beste: Bariloche ist ein idealer Unterschlupf, es liegt abgeschieden irgendwo am Ende der Welt. Übrigens: Der Name der Stadt kommt von dem Indianerwort Vuriloche und bedeutet «Menschen hinterm Berg».
Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Bariloche eine deutsche Schule und eine Gemeinde aus deutschen Einwanderern, die es sich so richtig hübsch gemacht hatten. Fachwerk, dekorierte Blumenkästen, hölzerne Fensterläden mit kleinen, exakt ausgefrästen Herzchen in der Mitte. Aus dem mit der Nagelschere geschnittenen Vorgartengrün hat jemand liebevoll die Gänseblümchen gerissen, «Vorsicht vor dem Hunde!» steht auf dem Schild an einem der selbstgezimmerten Holzzäune. Dahinter hechelt ein Deutscher Schäferhund. Den Stadtkern beherrscht gute, alte deutscheArchitektur. Steinfassaden mit Erkern,
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