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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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Oben auf dem Altiplano, dem Hochplateau über La Paz. Die Statue ist aus alten Autoteilen zusammengeschweißt und rostet auf einer Verkehrsinsel vor sich hin. In der linken Hand hält der Comandante eine Friedenstaube aus Radmuttern, in der rechten die Kalaschnikow, und mit seinen blechernen Armeestiefeln zerquetscht er den Adler der U S-Amerikaner . Es riecht nach Diesel und Urin, ein paar Betrunkene schlafen im Schatten des Schrott-Revoluzzers ihren Rausch aus. «Vive el Che!» hat jemand in roter Farbe auf den Sockel der Statue gepinselt: «Es lebe der Che!»
    «Weil er immer für die Armen und Schwachen gekämpft hat!», ruft mir ein Mann mit braunem Schlapphut zu, der an der Ecke ausgestopfte Eselsköpfe verkauft. Er hält sich einen Schädel vor den Bauch, öffnet und schließt den Kiefer des Tieres mehrmals mit beiden Händen und grüßt mich freundlich. Daneben bietet eine alte Frau getrocknete Lamaföten an. Die bedauernswerten ungeborenen Geschöpfe werden von manchen Bolivianern angeblichunter der Türschwelle vergraben. Das soll Fruchtbarkeit ins Schlafzimmer bringen.
    Es gibt nichts, was du hier oben nicht kaufen kannst. Zweimal die Woche bringt die Feria 16 de Julio den Verkehr in der Bauernstadt El Alto zum Erliegen, ein überwältigend großer Markt vor der Kulisse des Illimani. Mitten auf der Straße verkaufen sie Autoreifen, Mikrowellen, Möbel, Ziegelsteine, Bücher, Hühner, Orangen, Babykleidung und – natürlich – Che-Guevara-Shirts. Es ist der Markt der Indios, der Aymara. Ihre Frauen tragen buntbestickte Faltenröcke, farbenprächtige Tücher und lange schwarze Zöpfe. Auf dem Haupt balancieren sie sonderbare kleine Filzhüte mit schmaler Krempe. Sie gleichen der englischen Melone bis ins Detail, und manche behaupten sogar, britische Eisenbahnbauer hätten die bizarren Kopfbedeckungen als Sonnenhüte ins Land gebracht. Doch als den Ingenieuren auffiel,dass die Melonen für diesen Zweck viel zu klein waren, hätten sie die ganze Schiffsladung Filzkappen an die Einheimischen verteilt. Eine hübsche Legende, El Che wäre vermutlich stolz auf diese Eisenbahner gewesen.

    Ganz sicher aber wäre er stolz auf die Aymara, denn sie haben hier in Bolivien tatsächlich eine Revolution geschafft. Zum ersten Mal ist einer von ihnen Präsident geworden: Evo Morales, ein Cocalero, der ehemalige Gewerkschaftsführer der Koka-Bauern. Neunzig Prozent der Leute in El Alto haben ihn gewählt. «Evo Si!», «Evo Presidente» und «Evolu ción !» steht auf den Mauern ihrer unverputzten Ziegelhäuser. Auf dem Altiplano entdeckst du das Bild von Morales genauso häufig wie das von Che Guevara, und manche sagen, El Presidente werde nun jene Revolution vollenden, die El Comandante einst begann.
    Der Che startete seine Karriere als Medizinstudent – und seit Evo Morales gibt es auf dem Altiplano ein neues Krankenhaus. Ein kubanisches Krankenhaus. «Trabajadores Sociales» steht auf den frisch gestrichenen gelben Außenwänden der Klinik. Darunter prangt ein überdimensionales stilisiertes Bild des Che, eingerahmt von zwei Flaggen: der bolivianischen und der kubanischen. Wer weiß, vielleicht finde ich hier ein Mittel gegen meine Höhenkrankheit.
    «Der Che lebt!», so empfängt das Hospital seine Gäste an der Rezeption. Es gibt hier keine einzige Wand, an der nicht das Bild des Revolutionärs hängt. Che mit langen Haaren, Che mit modischem Kurzhaarschnitt, Che lächelnd, Che ernst, Che mahnend, Che rauchend. An jeder zweiten Wand hängt übrigens Fidel Castro, an jeder dritten ein Starschnitt von Hugo Chávez. Hat hier jemand die sozialistische «Bravo» abonniert?
    «Bienvenido Compañero!» – die kubanischen Ärzte begrüßenmich standesgemäß. Evo Morales hat die Doktoren ins Land geholt, damit sie sozialistische Entwicklungshilfe leisten. Schließlich hat der Che einst erklärt, Solidarität sei die Zärtlichkeit der Völker.
    Ich bekomme eine Tour durch das Hospital. Gleich drei Compañeros «begleiten» mich, und die Genossen Ärzte wissen, was zu tun ist, wenn das Fernsehen vor der Tür steht: Sie zeigen mir eine glückliche bolivianische Mutter und ihr kerngesundes Baby, ich darf den modernen Röntgenraum sehen und gerne jeden einzelnen Patienten filmen. Dabei sind viele Aymara abergläubisch und fürchten, das Objektiv könne ihre Seele stehlen. Mir ist es äußerst unangenehm, wenn jemand panisch aus dem Bild läuft, die Genossen scheren sich darum wenig. Sie schubsen die Leute einfach zurück ins

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