Mit 80 000 Fragen um die Welt
an Wilma Brunkhorst. Außerdem bekomme man von Pommes frites eine Glatze.
Es gibt einen Mann, der diese verbalen Amokläufe immer wieder ausbügeln muss: Iván Iporre Salguero, Evos Generalsekretär. Salguero ähnelt Franz Müntefering, dürfte aber mindestens zwanzig Jahre jünger sein. Außerdem trägt er keine Brille und hätte die Rente mit 67 aus vollem Herzen abgelehnt. Salguero begrüßt mich mit einem Koka-Tee.
«Danke für die Einladung.»
«Fühlen Sie sich ganz zu Hause, Genosse.»
Links an der Wand hängt ein Bild von Evo Morales, von rechts oben blicken die entschlossenen Augen des Che auf uns herab. Salguero hält etwas hinter seinem Rücken.
«Haben Sie mir etwas mitgebracht?»
«Ja, und hier ist es. Ein T-Shirt mit dem Comandante Che Guevara und der Flagge von Kuba.»
«Gracias!»
«Nichts zu danken, Compañero.»
Na schau mal einer an: Der weiße Revolutionsdress hat sogar meine Größe.
«Warum ist Che denn bei Ihnen immer noch ein Popstar?»
«Popstar, Popstar, ich würde nicht Popstar sagen. Wir tragen den Che im Herzen. Es un sentimiento, ein Gefühl. Ein tiefes Gefühl der Verpflichtung – so wie wenn der Genosse Evo sagt: ‹Patria o muerte!› Heimat oder Tod. Es gibt ein Wort in der Aymara-Sprache, das heißt: Camassa.»
«Besessenheit?»
«Präsenz! Kraft in der Präsenz. Auch wenn der Che nicht da ist, auch wenn der Genosse Evo nicht da ist – du spürst ihre Energie trotzdem.»
«Und ist Evo der neue Che Guevara?»
«Che war Che zu seiner Zeit. Evo ist Evo heute. Aber wenn du eine Parallele ziehen willst: Der Che konnte stundenlang reden. Und Evo auch.»
«Stimmt. Zum Beispiel über Hähnchenfleisch und Pommes.»
«Ja, aber auch über sehr tiefsinnige Sachen. Evo klammert sich nicht an Zettel, die Reden kommen aus seinem Herzen.»
«Manche nennen ihn auch populistisch.»
«Klar, wenn du es aus deiner westlichen Sicht betrachtest, sagst du: Das ist Populismus. Aber ich lade dich ein, in unsere Welt einzutreten. Die neue Welt.»
«Sie meinen: die Welt der Revolution?»
«Exactamente. Die Täuschung des Kapitalismus ist so offensichtlich, dass das Volk sagt: Nada más – so geht es nicht weiter! Also sucht es sich einen Führer, und dieser Führer ist der Genosse Evo.»
Salguero öffnet die Schublade seines Schreibtischs und holt etwas heraus. Ein Bild des Genossen: Morales im roten Poncho. Er trägt einen lilaweißen Blumenkranz um den Hals und lächelt verschmitzt um eine Hausecke.
«Dieses Foto hängt normalerweise dahinten an der Wand, damit Evo mich anschauen kann. Und dann fragt er immer: Na, wie geht’s dir, alter Junge?»
Dasselbe würde ich auch den Che gerne fragen. Ich sitze auf einer Anhöhe und blicke auf La Paz. Es kommt mir vor, als säße ich in einem Gemälde. Der Wind fegt über die schneebedeckten Gipfel der Anden und schiebt Schäfchenwolkendurch das Tal. Ihre Schatten spielen über dem Meer aus braunen Ziegeln und orangefarbenen Dächern, und plötzlich – sind es die Koka-Blätter, oder ist es die Höhenlage? – erblicke ich in einer Wolke den Che. Stolz sieht er über das Land. Na, wie geht’s dir, alter Junge?
KAPITEL 21
«GIBT ES NOCH NAZIS IN ARGENTINIEN?»
EL ULTIMO
Es war einmal ein U-Boot , das kam von weit her und nahm Kurs auf Patagonien. Eine märchenhafte Gegend im Süden Argentiniens mit hohen, schneebedeckten Bergen, grünen Tälern und Seen, die mit glasklarem Wasser gefüllt waren. So klar, dass du die prächtigen Fische am Grunde schwimmen sehen konntest. Eines Nachts, der Nebel hatte die Küste sanft verschleiert, stoppte das Unterseeboot bei Caleta de los Loros, einem einsamen Strand in der Mitte des Nichts. Die Reisenden fühlten sich unbeobachtet, als sie die Luke öffneten und an Land gingen. Es waren sonderbare Gestalten mit dunklen Uniformen und finsterer Seele. Böse Männer, die gesündigt hatten. Sie luden schwere Holzkisten aus ihrem Gefährt und schleppten sie mühsam ans Ufer. Die Kisten waren voller Gold, das ihnen nicht gehörte. Auch eine Frau stieg aus dem U-Boot . Sie war sehr schön, trug lockiges braunes Haar und wurde deshalb Braun genannt. Es war die Geliebte des Teufels. Der Beelzebub ging als Letzter an Land: ein kleiner dünner Mann mit Seitenscheitel und winzigem Oberlippenbart.
«Adolf Hitler war hier in Argentinien?»
«Ja, ich habe eindeutige Beweise dafür. Nur ein kleiner Kreis kennt die Wahrheit, und ich gehöre dazu.»
Auch Abel Basti ist ein kleiner dünner Mann. Doch er trägt einen
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