Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
befindet.»
«Und dennoch dominiert Er das Gemälde.»
«Ganz recht, del Monte. Die Bedeutung des Werks wird uns nicht durch helle Himmel und strahlende Engel aufgezwungen. Wir müssen danach suchen. Wie der heilige Matthäus selbst. In uns selbst suchen.» Scipione zeigte auf eine der sitzenden Figuren, die auf sich selbst zu deuten und zu fragen schien, ob Christus sie berufe.
«Als diese Werke vor fünf Jahren an San Luigi ausgeliefert wurden», sagte del Monte, «wusste ich, dass sie die Malerei für immer verändern würden. In allen Kirchen Roms sieht man jetzt, dass jedes neue Kunstwerk entweder eine Kopie von Caravaggios Stil durch einen seiner Bewunderer ist oder aber eine beleidigte Abwehr von jemandem, der sich weiterhin an die Manier des vergangenen halben Jahrhunderts klammert. Caravaggio ist heutzutage in allen Werken präsent, ob die Maler das nun zugeben oder nicht.»
Er schnippte mit den Fingern. Ein Diener in der türkisen Livree del Montes kam aus dem hinteren Teil der Kirche und verneigte sich tief.
«Ordne Maestro Caravaggios Erscheinen an. Ich will ihn in meiner Galerie empfangen.»
«Jawohl, mein Herr.» Der Diener machte vor dem Altar eine Kniebeuge und trabte dann auf die Piazza hinaus.
«Er arbeitet ohne die üblichen Vorbereitungen, müsst Ihrwissen», sagte del Monte. «Keine Skizzen. Er malt direkt auf die Leinwand, aus dem Leben gegriffen. Nach Modellen, die er in seiner Werkstatt Aufstellung nehmen lässt.»
«Der Augenblick ist ganz einfach eingefangen.» Wie ein Taschendieb, der sich vorbereitet, schob Scipione seine Finger ineinander. «
Und da Jesus von dannen ging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.
»
Del Monte beobachtete, wie sich Scipiones Gesicht bei jeder Einzelheit, die ihm auf dem Gemälde auffiel, veränderte und von Staunen zu Verstehen und Bewunderung überging.
«Seht her, seht Ihr das?» Scipione berührte del Montes Ärmel. «Es ist, als ob jedermann die Luft anhält, wenn unser Herr die Hand hebt. Es ist wahrlich lebendig.»
Die beiden Kardinäle verließen San Luigi. Ihre Lakaien gingen voraus, um ihnen einen Weg durch die Massen der Römer zu bahnen, die zwischen der Piazza Navona und Santa Maria Rotonda, der in Kaiser Hadrians Pantheon eingelassenen Kirche, hin und her wogten. Sie überquerten die Straße zu del Montes Palazzo, benannt nach der unehelichen Tochter des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, die als die
Madama
bekannt gewesen war. Sie stiegen über die Freitreppe hinauf.
Scipione blieb auf dem Treppenabsatz stehen und rang nach Atem. «Dieser Maler ist nicht in der Stadt Caravaggio ausgebildet worden, dessen bin ich mir sicher. Ich bin dort mal gewesen. Es ist ein Kaff, das bestenfalls dazu gut ist, Seide für meine Unterwäsche herzustellen.»
Del Monte passte seine Schritte den schwerfälligeren des jüngeren Mannes an. Sie erreichten das Stockwerk mit seinen Privatgemächern. «Er ist bei Maestro Peterzano in Mailand in die Lehre gegangen.»
«Mailand. Ich verstehe. In seiner Arbeit findet man Einflüsse anderer großer Künstler aus der Region. Ich denke an SavoldosEinsatz des Lichts und der Dunkelheit. Aber ein Künstler muss nach Rom kommen, wenn er vorankommen will.»
Del Monte nickte.
Zu dir kommen, meinst du wohl.
«Es waren nicht nur die grauen Himmel des Nordens, die Maestro Caravaggio dazu trieben, Mailand zu verlassen.»
Scipione öffnete fragend die Hand.
«Es hatte etwas zu tun mit einer verstümmelten Hure und der Verletzung ihres eifersüchtigen Liebhabers, der zufälligerweise ein Ordnungshüter war», sagte del Monte.
Scipiones Achselzucken deutete an, dass ihn solche Umstände weder überraschten noch schreckten.
«Als er anfangs in diesem Palazzo wohnte», sagte del Monte, «war Caravaggio nichts als ein Mailänder Halsabschneider. In gewisser Weise ist er das immer noch. Sein Werk verändert sich stärker, als er sich selbst zu ändern scheint. In seinem tiefsten Inneren gibt es etwas Süßes und Spirituelles, und genau dort findet er seine Kunst.»
«Kam er direkt zu Euch, als er in Rom eintraf?»
«Er wohnte eine Weile bei einem Priester, der ihn aufnahm, um seinen Gönnern aus der Familie Colonna einen Gefallen zu tun.»
Scipiones Blick bekam etwas Abwesendes. Del Monte verstand, dass der Kardinalnepot Caravaggios Rang innerhalb des Einfluss- und Herrschaftszirkels abschätzte, über den ein Mann seiner Stellung
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