Mit deinen Augen
mit Ranch-Dip tunken soll. Ich merke, dass Esther und ich eine Art Ernährungskampf führen, wie bei diesen Wettkochsendungen im Fernsehen. Wir kämpfen um das Mittagessen meiner Tochter.
»Haben Sie schon mit Ihrer Familie gesprochen?«
»Nein, noch nicht«, sagt Esther.
Vor einer knappen Woche habe ich ihr eröffnet, dass wir sie nicht mehr brauchen, weshalb ich natürlich ein ganz schlechtes Gewissen habe. Aber sie behauptet, dass ihre Familie zurzeit nicht in San Diego ist und dass sie keinen Schlüssel für das Haus hat.
»Sind sie immer noch im Urlaub?«, frage ich.
»Ja«, antwortet sie.
»In New Jersey, haben Sie gesagt?«
»Ja, Jersey Shore.«
»Wie schön.« Ich beuge mich nach unten, um die Gemüsestücke aufzuheben, die mir heruntergefallen sind, und Esther geht an mir vorbei. Ich spüre, wie sie mit dem Bauch meinen Hintern streift.
»Sie sind sowieso noch nicht so weit«, sagt sie. »Es gibt einiges, was ich Ihnen nicht gesagt habe.«
Sie setzt ihre jahrelange Erfahrung mit Scottie als Druckmittel ein und gibt die Informationen nur häppchenweise preis, um so ihren Aufenthalt hier zu verlängern. Ich lasse das zu, weil ich nicht leugnen kann, dass sie eine große Hilfe ist und dass sie Scottie sehr gern hat. Ihre Methode ist genial - ich bin tatsächlich darauf angewiesen, dass sie mir noch verschiedene Dinge beibringt, ehe sie sich verabschiedet. Im Grund ist es so, als müsste ich noch mal das juristische Staatsexamen machen - ich büffle wie verrückt, stopfe mich mit Wissen voll, lerne die Logik und die Sprache junger Mädchen.
Esther bringt mir bei, was Scottie gern hat: Xbox, tanzen, die Zeitschrift Smart , Mandelbutter, Hamburger, Jay-Z, Jack Johnson, Playlisten auf ihrem iPod zusammenstellen, SMS verschicken, und ich sage mir, ich muss genau Bescheid wissen, weil Joanie sicher noch einige Zeit geschwächt sein wird und nicht alles machen kann; bestimmt dauert es eine ganze Weile, bis sie körperlich und geistig wieder auf der Höhe ist. Aber ich sage mir nie, dass ich die Gewohnheiten dieses jungen Menschenwesens lernen muss, weil Joanie sterben könnte.
»Sollen wir weitermachen?«, frage ich.
Esther seufzt, als hätte sie eigentlich die Nase voll, aber ich weiß, dass unsere Unterrichtsstunden ihr Freude bereiten. Sie ist die Lehrerin ihres Arbeitgebers, sie hat die Chance, mir das Mädchen zu zeigen, das sie so gut kennt, und außerdem kann sie das Mädchen erschaffen, das Scottie ihrer Meinung nach werden sollte.
»Sie liest gern Jane , hört gern Musik«, erklärt Esther, während sie in dem Topf mit Fett und Bohnen rührt. Die ganze Küche riecht schon nach Herzinfarkt. »Früher mochte sie MySpace, aber jetzt hat sie ihr Notizheft. Guckt gern Dog - der Kopfgeldjäger , so eine Reality-Show. Sie mag es, wenn man ihr Rücken reibt.«
»Wenn man ihr den Rücken reibt?«
»Ja, als sie noch klein war, hab ich ihr Rücken massiert, bis sie einschläft. Mache ich immer noch, wenn sie Albtraum hat und aufwacht.« Sie stochert mit einem Holzlöffel in dem Topf herum.
»Sie hat Albträume? Was für Albträume?«
Blöde Frage. Ihre Mutter befindet sich im letzten Stadium vor dem Tod, die Gehirnfunktionen haben die niedrigste Stufe erreicht, aber ich will nicht wahrhaben, dass dies eine tief greifende psychologische Wirkung auf Scottie hat.
»Ich weiß nicht«, antwortet Esther. »Ich habe Ihnen noch nicht von Kinder-Albträumen erzählt. Kommt häufig vor. Wir besprechen nächste Woche.«
Ich habe Esther wirklich gern und will nicht, dass sie geht. Es ist nur so, dass mir die Vorstellung, ein mexikanisches Kindermädchen zu beschäftigen, nicht behagt. Ich finde schon immer, dass Scottie eigentlich kein Kindermädchen braucht, weil Joanie ja nicht richtig arbeitet, und ich gebe nicht gern Geld dafür aus, dass jemand sich um mein Kind kümmert. Außerdem fühle ich mich wie ein Kolonialist, wenn Esther hier ist. Vor allem jetzt, da ich mithelfe und sie hauptsächlich putzt und kocht. Seit wir mehr Zeit miteinander verbringen, hat sie angefangen, schlagfertige Antworten zu geben und komische Pointen aus dem Ärmel zu schütteln, das heißt, sie ist nun ganz das freche mexikanische Hausmädchen, wie in einer typischen Familienserie. Aber ich muss mir überlegen, was für meine Familie das Beste ist, und nicht daran denken, wie andere Leute meine Familie wahrnehmen, etwas, was ich zugegebenermaßen schon mein ganzes Leben tue: Ich versuche immer zu beweisen, dass ich selbst etwas
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