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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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glaube. Rufen Sie an.« Sie trinkt einen großen Schluck Wasser und atmet deutlich hörbar aus.
    »Könnten Sie vielleicht mit ihr sprechen? Ich muss nämlich jetzt arbeiten, wissen Sie.«
    »Ich habe schon mit ihr gesprochen. Sie will mit Mrs. King reden.«
    »Was haben Sie ihr gesagt?«
    »Ich habe gesagt, Mrs. King ist krank. Und dann sagt sie, dass sie mit Ihnen sprechen will.«
    »Na super«, sage ich. Bestimmt möchte sie, dass ich mich an einem Kuchenverkauf oder an einer Fahrgemeinschaft beteilige oder dass ich bei einer Tanzveranstaltung in der Schule Aufsicht führe. Das ist das Problem bei einer Krise. Meine Frau liegt im Koma, aber das ändert nichts daran, dass das Leben weitergeht. Ich muss mich um Scotties Schule kümmern, Arbeitsstunden abrechnen, und dann ist da noch dieser Fonds, zu dem ich mir eine Meinung bilden muss.
    Esther geht aus der Küche, mit einem Eimer voller Putzmittel, und ich rufe Mrs. Higgins vom Küchentelefon aus an. Das Mittagsgeschirr ist bereits verschwunden. Der große schwarze Topf steht umgedreht auf dem Abtropfbrett. Der Fußboden glänzt und ist rutschig. Ich kann mein Gesicht in den Arbeitsflächen sehen.
    Eine Frau meldet sich, singt praktisch ihr Hallo . Ich mag es, wenn die Leute sich so melden. Oder besser: wenn Frauen sich so melden.
    »Hallo, spreche ich mit Mrs. Higgins?«
    »Ja?«, sagt sie.
    Telemarketer müssen begeistert von ihr sein. »Ich bin Matt King, Scotties Vater. Ich sollte Sie zurückrufen. Aber ich weiß gar nicht, ob Ihre Tochter mit meiner Tochter in die Schule geht, ich dachte nur …«
    »Ja, Lani ist in derselben Klasse wie Scottie«, sagt sie. Der süße Singsang ist verschwunden.
    »Es tut mir sehr leid, meiner Frau geht es nicht gut, deswegen kann sie nicht mit Ihnen sprechen, aber vielleicht kann ich Ihnen ja irgendwie behilflich sein.«
    »Tja, mal sehen«, brummt sie. »Wo soll ich anfangen?«
    Ich halte das für eine rhetorische Frage, aber sie scheint darauf zu warten, dass ich es ihr sage. »Vielleicht am besten ganz vorne«, sage ich.
    »Okay«, sagt sie. »Das ist der Anfang. Ihre Tochter simst meiner Tochter ziemlich gemeine Botschaften, und ich möchte, dass sie damit aufhört.«
    »Oh«, sage ich. »Was schreibt sie denn?«
    »Sie nennt sie Lani Piggins und Lani Muh.«
    Lani Muh ist das Maskottchen einer regionalen Molkerei. Eine lustige Kuh. »Hm«, mache ich. »Das tut mir leid. Manchmal sagen Kinder dumme Sachen zueinander. Es kann eine Form der Zuwendung sein, glaube ich.« Ich sehe auf meine Armbanduhr und denke wieder daran, dass Joanie sie für mich gekauft hat.
    »Dann schreibt sie Hübsche Bluse . Oder Hübsche Hose .«
    »Das ist doch nett«, sage ich.
    »Nein, es ist Cyber-Sarksamus!«, schimpft Mrs. Higgins los, und ich halte das Telefon vom Ohr weg, nicht weil ihre Stimme schrill ist, sondern weil sie rau und gefährlich klingt, wie die große böse Wölfin.
    »Vielleicht ist es ja gar kein, äh, Cyber-Sarkasmus, sondern ehrlich gemeint.«
    »Aber am Schluss steht CS . Das bedeutet so viel wie Cyber-Sarkasmus. Außerdem nennt sie meine Tochter Lanikai, womit sie andeuten will, dass sie den gleichen Umfang hat wie dieser Badestrand.«
    Ich sage nichts, muss aber grinsen, weil ich es witzig finde.
    »Und dann hat Ihre Tochter noch gesagt, dass sie an der Kletterwand Angst hat, Lanis Partnerin zu sein, weil sie nicht in die Pospalte meiner Tochter stürzen möchte. Das ist noch nicht einmal irgendwie logisch.«
    Ich bin kurz davor, ihr zu erklären, dass Scottie vermutlich meinte, Lanis Pospalte sei breiter als bei den meisten, eine Art Schlucht, weil der Rest ihres Körpers ja auch so umfangreich ist. Es ist eine konsequente Weiterführung des Fett-Themas. Aber ich kann mich gerade noch beherrschen. »Das ist schrecklich«, murmele ich.
    »Und hier!«, sagt Mrs. Higgins. »Ich lese Ihnen mal ihr neuestes Werk vor: Wir wissen alle, dass du im Sommer Schamhaare gekriegt hast . Das ist doch die Höhe! Dauernd schickt sie solche Kurznachrichten. Ohne jeden Grund. Meine Tochter hat ihr nichts getan.«
    Ich denke daran, wie Scottie beim Mittagessen saß. Hat sie vorhin in der Küche Lani eine SMS geschickt?
    »Schrecklich«, sage ich wieder. »Und es sieht ihr überhaupt nicht ähnlich. Sie ist sonst so ein liebes Mädchen. Aber leider geht es ihrer Mutter nicht gut, vielleicht ist das der Auslöser. Möglicherweise ist das ihre Art, es zu verarbeiten.«
    »Die Hintergründe sind mir scheißegal, Mr. King.«
    »Oha!«, sage ich

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