Mit den Augen eines Kindes
wir die Hypothek zum Teil getilgt hatten und nicht mehr darauf angewiesen waren, dass Karola Vollzeit arbeitete.
Und vier Jahre später starb Marens Mutter. Zur Beerdigung kam sie nach Hause, aus Florida. Wir trafen uns ganz zufällig im Kerpener Hallenbad. Da geht man ja für gewöhnlich nach einem Begräbnis hin. Ich war jeden Donnerstagabend da, meist mit meiner Frau. Manchmal trieb auch Willibald Müller fast reglos im Becken, Fett schwimmt bekanntlich oben. Da musste er sich nicht anstrengen. An dem Abend war er jedoch nicht da. Aber an der Beerdigung hatte er teilgenommen – und Maren im Anschluss daran vermutlich brühwarm erzählt, wie ich mir mein Leben ohne sie eingerichtet hatte.
Karola wusste von meiner Schulzeit nur, dass ich aufs Gymnasium gegangen und mit Peter Bergmann befreundet gewesen war. Sie war in Köln aufgewachsen und dort bei einer Versicherung beschäftigt. Wenn wir am Wochenende bei meinen Eltern einen Kaffee tranken – ich schätze, Mutter hätte sich eher die Zunge abgebissen, als meine jugendlichen Verirrungen einmal anzusprechen. Von den restlichen Familienmitgliedern wurde Maren ebenfalls totgeschwiegen. Man darf den Teufel ja bekanntlich nicht an die Wand malen und keine bösen Geister heraufbeschwören.
So gab es für Karola nur ein unverfängliches Hallo zwischen ehemaligen Schulkameraden. Natürlich wurde viel erzählt – über frühere Mitschüler. Es gab eine Bar im Hallenbad, an der saßen wir eine Stunde lang – zu dritt. Maren erwähnte beiläufig, dass ihr Vater nun gerne seine Geschäfte in ihre Hände legen wolle. Aber mit ihm unter einem Dach, nein, das könne sie nicht.
«Er hat mir vor Jahren etwas weggenommen», erklärte sie mit einem schwermütig sehnsüchtigen Blick auf meine Badehose, «woran ich mit Leib und Seele hing. Ich habe mir in Köln ein Hotelzimmer genommen. Vielleicht sehen wir uns mal, wenn du in Köln zu tun hast, Konni», sagte sie in Gegenwart meiner Frau.
Ich hatte eigentlich in Köln überhaupt nichts zu tun. Aber ich dachte, ein Kaffee an der Hotelbar sei noch kein Ehebruch und ein Drink in ihrem Zimmer immer noch kein Verbrechen. Wir könnten uns dabei ja mal über die Pornoheftchen von Schweinchen Dick unterhalten und klären, ob sie wirklich ein Wochenende mit Porky im Ferienhaus ihres Vaters verbracht hatte. Vorstellen konnte ich mir das längst nicht mehr. Aber da waren ja auch noch die drei vom Sportplatz, von denen mein älterer Bruder erzählt hatte, und die Typen aus der Kölner Diskothek.
Maren lachte mich aus. «Was denkst du von mir? Hältst du mich für eine Nymphomanin, Konni?»
Sie gestand freimütig, dass sie nach unserer Trennung nicht gelebt hatte wie eine Nonne. Davor habe es aber keine anderen gegeben, keinen einzigen. Die Sache mit Porky sei genau so gewesen, wie ich mir das gedacht hatte. «Du hättest sein Gesicht sehen müssen, wenn ich ihn wieder mal auflaufen ließ. Der Ausdruck war zu köstlich. Ich wusste gar nicht, dass Mastschweine eine so lebhafte Mimik haben.»
Es kam, wie es kommen musste. Maren war eben Maren, ein Naturereignis. Sie konnte Gedanken lesen, wenn es darum ging, die manchmal unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte aufzuspüren, die Mann mit sich herumtrug. Karola war auch vier Jahre nach der Hochzeit noch nicht in der Lage, einmal Bedürfnisse oder Verlangen zu bekunden. Sie wies mich nur selten ab, wenn ich das tat, aber manchmal hatte ich das Gefühl, mich aufzudrängen. Und Maren bestand aus Intuition und Bereitschaft, aus Gier und Unersättlichkeit, aus Opium, Morphium, hochprozentigem Rum und reinem Heroin, eine Mischung, die unweigerlich süchtig machte. Vier Monate lang traf ich sie mindestens dreimal die Woche in diesem Kölner Hotelzimmer und verfiel dem Wahn, dass letztlich zueinander findet, was zueinander gehört und füreinander bestimmt ist.
Mit neunundzwanzig ließ man sich ja auch von den Eltern nichts mehr verbieten. Genau genommen brauchte man in dem Alter gar keine Eltern mehr. Sollte es also zum Bruch mit meiner Familie kommen, auch gut. Wenn Maren den immer noch schwunghaften Handel ihres Vaters mit Gebrauchtwagen und Baumaschinen übernahm, könnten wir uns bequem eine Luxuswohnung in Köln leisten.
Sie sprach oft von solch einer Wohnung und den Hoffnungen ihres Vaters, die Verantwortung für sein Imperium abgeben zu dürfen. Der alte Koska hatte die achtzig überschritten. Angeblich sah man ihm das nicht an, er sollte zwanzig Jahre jünger wirken. Aber trotzdem, andere in
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