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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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ihrer Mutter. Ich hatte Urlaub und blieb mit Olli allein. Bis dahin hatte ich ihm hin und wieder das Fläschchen gegeben. Nun war er völlig auf mich angewiesen.
    Die erste volle Windel, beschissen bis an den Nabel und den halben Rücken hinauf. Da half es nicht mehr, mit spitzen Fingern hinzufassen. Er ließ mich nicht aus den Augen, als ich ihn wusch. Ich glaube, so fing es an, dieses Vertrauensverhältnis. Papa, der starke Mann, der alle Hindernisse aus dem Weg räumte und dafür sorgte, dass man sich rundherum wohl und sicher fühlte. «Mein Papa ist Polizist.» Das hatte er immer mit so viel Inbrunst gesagt.
    Ich war so hohl im Innern. Ein großes, finsteres Loch, von dessen Grund nackte Panik aufstieg. Ich versuchte noch, mich zusammenreißen, das Vordringlichste zuerst. Nein, nicht runtergehen und die Kölner Kollegen informieren, auch nicht ans Telefon. Zurück ins Schlafzimmer und Hanne fragen, was passiert war, obwohl ich das eigentlich wusste.
    Als ich erneut damit begann, gegen ihre Wangen zu schlagen, öffnete sie kurz die Augen, blinzelte mich verständnislos an, senkte die Lider wieder und lallte, als wäre sie sturzbetrunken: «Überhaupt kein Unterschied, wirklich nicht.»
    «Was haben sie mit dir gemacht?»
    Keine Reaktion, nur ein endlos langer Seufzer. Ich wiederholte meine Frage, wieder und wieder, bis Hanne endlich begriff, wer neben dem Bett stand. «Nur das Übliche», murmelte sie. Punkt und Schluss. Ein Messer in den Eingeweiden hätte nicht schlimmer sein können. Ihr Kopf fiel wieder zur Seite. Sie hatten ihr etwas eingeflößt, davon zeugte das Glas auf dem Nachttisch.
    Ich dachte daran, einen Krankenwagen zu rufen, aber statt endlich zum Telefon ging ich in die Küche und setzte mich an den Tisch. Nur das Übliche! Im Prinzip nichts anderes als das, was ich mit Maren gemacht hatte. Wie lange ich noch am Küchentisch saß, keine Ahnung. Dass ich die Wohnung verließ, registrierte ich nicht. Irgendwann stand ich neben dem Wagen der Kölner Kollegen und sagte: «Sie haben meinen Sohn.»
    Und als ich es aussprach, begriff ich es auch. Sie hatten Olli.
    Ich ging zurück zu Hanne, die beiden Kollegen waren mir dicht auf den Fersen. Hanne schlief immer noch. Doch als ich sie nun an der Schulter rüttelte, reagierte sie sofort, schlug die Augen auf und schaute mich an mit einem Blick, der von sehr weit her kam. Sie ließ sich in eine sitzende Position helfen und verlangte einen starken Kaffee. Die beiden Kopfkissen als Stütze im Rücken, die Decke vor der Brust zusammengerafft, saß sie da, als einer der beiden – Mertens hieß er – ihr ein paar Fragen stellte.
    Aber sie erfasste noch gar nicht, was vorging. Ausgerechnet sie, die bisher in jeder Situation einen kühlen Kopf bewahrt hatte. Es tat so verdammt weh. Doch nicht einmal dieser Schmerz füllte das Loch in meinem Innern.
    Als ich ihr den Kaffee brachte, schaute sie zum Fenster. «Er war nicht brutal», sagte sie. «Im Gegenteil. Er sagte, wenn es mir nichts ausmacht, würde er gerne einmal feststellen, ob da ein großer Unterschied ist zwischen ihm und dir. Weil er nicht begreift, warum seine Frau so gerne mit dir fickt.»
    «Sie ist nicht seine Frau», sagte ich.
    «Ich bin ja auch nicht deine», hielt sie dagegen. «Aber wie soll man das sonst ausdrücken? Man lebt mit einem Menschen und sagt, mein Mann oder meine Frau, weil es ab einem gewissen Alter blöd klingt, wenn man sagt, meine Freundin oder mein Freund. Und Partnerin oder Partner klingt so geschäftlich.»
    Sie sprach leise, aber durchaus verständlich, ruhig, gefasst und ausschließlich zu mir. Um Mertens, der am Fußende des Bettes stand, kümmerte sie sich nicht. Den Blick immer noch auf das Fenster gerichtet, nahm sie die Tasse in beide Hände, führte sie langsam zum Mund, trank einen Schluck, sprach weiter.
    «Jochen rief an. Er hatte in der Dienststelle etwas aufgeschnappt und wollte vorbeikommen, sobald er sich loseisen kann. Als es dann klingelte, dachte ich, das wäre Jochen schon.»
    Noch ein Schluck Kaffee. Sie sprach, als müsse sie sich für etwas entschuldigen. «Ich hab unten aufgedrückt und die Tür aufgemacht. Das war der pure Leichtsinn. Aber ich wollte nicht, dass Oliver aufwacht, wenn Jochen nochmal klingeln oder klopfen muss. Dann wollte ich mir schnell den Bademantel anziehen. Und da hab ich erst gesehen, dass es nicht Jochen war.»
    Ich strich ihr behutsam über den Arm. Sie schüttelte meine Hand ab, atmete vernehmlich ein und aus. «Sie waren zu

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