Mit den Augen eines Kindes
ebenfalls in einem Auto sitzen und sehr schnell unterwegs sein. Ich hörte das Fahrgeräusch, das ihre Stimme überlagerte und leicht zerhackte.
Nach dem Geld fragte sie nicht, erkundigte sich auch nicht, wo ich war. Sie klang so atemlos und gehetzt. «Konni, es tut mir Leid. Ich wusste nicht, was die Schweine vorhatten. Das musst du mir glauben. Ich wusste es wirklich nicht. Aber ich …» Darauf folgte ein Geräusch wie das Reißen von Blech.
«Was ist passiert?», fragte ich, bekam keine Antwort, hörte nur noch ein Poltern und zwei oder drei Sekunden lang dieses nervtötende Reißen, dann war die Leitung tot. Und ich sah im Geist ein Autowrack und sie darin – verletzt oder tot.
Ich rief erneut in der Dienststelle an, setzte Rudolf in Kenntnis und fuhr weiter zur Raststätte, weil ich nicht gewusst hätte, wohin ich sonst fahren sollte. Dann wartete ich – bis um neun. Da war auch Rudolf nachdenklich geworden und Schmitz es endgültig leid. Niemand hatte diese Geräusche gehört, niemand glaubte mir, dass Maren einen Unfall gehabt hätte. Sie hatten sämtliche Dienststellen im Kölner Raum abgefragt – Fehlanzeige.
Zwei Kölner Kollegen nahmen mir den Koffer und das Handy weg. Ich wurde abgeführt, nicht ganz in der Art, in der Willibald Müller festgenommen worden war, aber trotzdem. Ich durfte nicht einmal allein fahren. Zwei Stunden lang setzten sie mir zu. Und ich hätte ja wirklich während der Fahrt am Telefon zu ihr sagen können: «Hier wimmelt es von Polizei, hau lieber ab.»
Erst als ich nachdrücklich darauf bestand, einen Anwalt anzurufen, brach Schmitz das Verhör ab. Ich durfte nach Hause fahren, nicht allein. Die beiden Kölner Kollegen fuhren hinter mir her, um Posten vor unserer Wohnung zu beziehen und dafür zu sorgen, dass ich nicht spontan verreiste.
Dass mir schon während der Heimfahrt der Gedanke gekommen wäre, Maren habe vielleicht wieder nur ein Diktiergerät, diesmal mit Unfallgeräuschen, eingesetzt und meinen Untergang entschieden gründlicher betrieben als vor neun Jahren, will ich nicht behaupten. Der Gedanke kam mir nicht einmal sofort, als ich die Wohnung betrat.
Alle Türen standen offen. Die erste führte ins Kinderzimmer, ich glaube, das erwähnte ich schon mal. Ollis Bett war leer. Natürlich, war ja schon fast Mittag. Er hätte bei meinen Eltern sein können. Kann sein, dass ich im ersten Moment sogar dachte, Hanne hätte ihn hingebracht, damit wir beide ohne Rücksicht auf ihn über uns reden könnten. Aber sein Bett war nicht gemacht, wie sie das sonst immer tat. Kissen und Bettdecke lagen auf dem Boden, das Laken war weg. Sein Schlafanzug, der irgendwo hätte liegen müssen, war nicht zu sehen. Seine Pantoffeln, die nachts immer vor dem Bett standen, lagen in der Ecke bei der Tür, als hätte jemand sie dahin getreten.
Hanne lag im Schlafzimmer. Zugedeckt bis zum Hals, die Beine unter der Decke angewinkelt und gespreizt, den Kopf zur Seite gedreht. Ihr Slip lag auf meinem Kopfkissen. Auf dem Nachttisch stand ein leeres Glas. O mein Gott, nein! Ich weiß nicht, ob ich das schrie, flüsterte oder nur dachte. Ich weiß auch nicht mehr, wie lange ich neben dem Bett stand, unfähig, die Decke fortzuziehen. Hannes Brust hob und senkte sich darunter in flachen Atemzügen. Irgendwann begann ich, mit leichten Schlägen gegen ihre Wangen zu klopfen und zog gleichzeitig die Decke weg. Auf den ersten Blick sah ich keine Verletzungen, nur einen feuchten Fleck auf dem Laken zwischen ihren gespreizten Beinen. Sie bewegte den Kopf zu mir herüber und murmelte etwas Unverständliches.
Ich ließ sie in Ruhe, ging wieder ins Kinderzimmer, setzte mich auf die nackte Matratze und legte die Hände vors Gesicht. Selbst durch die Finger sah ich die bunten Figuren auf dem Bettbezug. Ein Hase mit Schlappohren, ein Nilpferd, ein Elefant mit erhobenem Rüssel, als wolle er etwas in die Welt hinausposaunen.
Und kein Olli. Dass er weggelaufen sein könnte, glaubte ich keine Sekunde lang. Er wäre nicht im Schlafanzug und ohne Pantoffeln aus der Wohnung gerannt. Er hätte bei den Nachbarn geklingelt, den Notruf gewählt oder Opa angerufen. Das konnte er.
Man sollte meinen, ich hätte genau gewusst, was zu tun sei. Aber ich war nur ganz lahm, nicht einmal fähig zu denken. Ich konnte mich nur erinnern. Er war gerade drei Monate alt gewesen, als Hannes Eltern wieder mal tüchtig Zoff hatten, so schlimm, dass Bärbel drohte, sich umzubringen. Hanne fuhr hin und blieb eine volle Woche bei
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