Mit den Augen eines Kindes
ja wahrscheinlich nicht so gemeint, wie ich es aufgefasst habe. Ich will nicht, dass unsere Beziehung an dieser Sache kaputtgeht. Ich wusste ja, was passieren kann, wenn Maren dir nochmal über den Weg läuft. Daraus hast du nie einen Hehl gemacht. Ich hab nur nicht damit gerechnet, dass es nochmal passiert. Aber so was kann jedem passieren. Mir auch. Mir könnte auch eines Tages ein Mann begegnen, bei dem ich schwach werde. Und letztendlich ist es ja nur das. Ich meine, du hast ja nicht vom ersten Moment an gewusst, was sie mit Ella gemacht …»
Als ich nickte und mich erhob, brach sie mitten im Satz ab.
«Wir reden heute Abend, ich muss jetzt los», sagte ich.
Hanne nickte flüchtig, starrte in ihre Tasse. «Hast du sie nochmal getroffen?»
«Sieht so aus, als wäre sie weg», sagte ich.
Hanne riss erstaunt und entsetzt die Augen auf. «Und Ella?»
«Ich weiß es nicht.»
Als ich die Küche verließ, begann sie zu weinen. Keine neuen Erkenntnisse, jedenfalls keine, die man mit mir besprechen wollte. Ich fragte, ob Frau Koska sich schon bei Herrn Godberg gemeldet hätte, um die Modalitäten der Geldübergabe mitzuteilen, weil ich davon ausging, dass sie ihn deswegen kontaktieren würde. Rudolf schüttelte den Kopf. Schmitz erklärte in durchaus freundlichem Ton, was ich schon von Jochen gehört hatte. «Herr Godberg besteht darauf, dass Sie ihm das Geld bringen.»
Kurz nach neun traf die Sendung aus Düsseldorf ein. Ein Stahlkoffer mit abgegriffen wirkenden Geldscheinen. Ich nahm an, dass irgendwo in oder an dem Koffer ein Sender steckte, vielleicht im Griff. Zu sehen war nichts. Und alleine durfte ich damit nicht losfahren. Unter dem Deckmäntelchen der Besorgnis um mein Wohlergehen bekam ich eine Eskorte bis Kerpen und einen Mann ins Auto gesetzt. Die Wahl fiel auf Thomas Scholl, bei ihm war Schmitz sicher, dass er sich von mir nicht übertölpeln ließe.
Eine halbe Stunde später stand ich mit dem Koffer vor Godbergs Haustür. Ich hatte ihn am Mittwoch zuletzt gesehen und hätte ihn beinahe nicht wiedererkannt. Er war grau im Gesicht und dem Wahnsinn näher als allem anderen. Zuerst starrte er mich an, dann den Koffer, dann über meine Schulter unser Auto. Thomas Scholl saß noch drin.
«Sind Sie wahnsinnig?», fuhr er mich an, trat ins Freie. Sein Kopf flog nach rechts und links. Aber da war sonst niemand. Ich durfte reinkommen. Als er dann die Haustür schloss, murmelte er: «Das wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht.»
Ich wollte mich nicht auf eine längere Unterhaltung mit ihm einlassen, weil es dabei zwangsläufig Scherben geben musste. Schön cool und sachlich bleiben. «Hat Frau Koska sich schon bei Ihnen gemeldet?»
Er schüttelte den Kopf. «Wird sie auch nicht tun. Die will Sie anrufen. Sie sollen ihr das Geld bringen.»
«Seit wann wissen Sie das?», fragte ich.
«Hat sie wohl gestern aufgeschrieben, ehe sie abgehauen ist», erklärte er. «Ich habe den Zettel erst heute Morgen gefunden. In den Mülleimer hatte sie den gelegt, ganz obenauf natürlich, damit ich ihn auch finde und deutlich vor Augen habe, wie meine Frau endet, wenn nicht alles so läuft, wie sie es will. Bei Hanne will sie anrufen, und damit wartet sie garantiert bis auf die letzte Minute. Wenn man gar nicht mehr ein noch aus weiß und sich vor Angst in die Hosen macht, das hat sie am liebsten.»
Wir standen noch in der Diele, sein Blick schweifte kurz zur Treppe und wieder zurück zu mir. «Sven hat jeden Morgen das Bett nass. Er schämt sich, obwohl ich ihm sage, es ist nicht schlimm. Er wagt sich nicht mehr aus seinem Zimmer, kommt nicht mal zum Essen herunter, steht den ganzen Tag am Fenster. Und er weint nicht. Wissen Sie, was das heißt, wenn ein Kind nicht mehr weinen kann? Nein, das wissen Sie nicht. Sie wissen ja auch nicht, was für eine Sau dieses Weib ist. Sonst hätten Sie sich nicht mit ihr einlassen können. Die ist nicht menschlich. Wenn sie anruft, sorgen Sie bloß dafür, dass Ihre Kollegen sich nicht einmischen. Wenn die einen Polizisten wittert, wird sie abhauen, dann sehe ich Ella nie wieder. Sie wollen sie elend verrecken lassen, hat sie aufgeschrieben.»
Der Posten bei Kremers hatte mitgehört und die Dienststelle bereits informiert. Auch Thomas Scholl wusste schon Bescheid, als ich mit dem Koffer in der Hand wieder aus dem Haus kam. Er hatte die Anweisung, mich sofort nach Hause zu fahren und Posten vor meiner Tür zu beziehen.
Kurz vor Mittag brachte Hassler mir mein Auto zurück und erinnerte
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