Mit der Reife wird man immer juenger
Augenblick, ehe er sich die Ruhe gönnte, noch bei mir vorsprach, an meinem Tische saß, mir Grüße und Gaben der Heimat brachte, daß ich vielleicht der letzte war, mit dem er jenseits von Alltag und Amt eine Aussprache gehabt hat, daß er mich noch einmal mit seiner Freundschaft und Nähe, mit der von ihm ausgehenden Ruhe, Wärme und Heiterkeit beschenkt hat, war eine Gnade. Ohne dies Erlebnis wäre ich vermutlich auch nicht fähig gewesen, sein Ende zu verstehen oder, weil »Verstehen« ein zu großes Wort ist, esso anzunehmen und einzuordnen, als gut, als richtig, als harmonischen Ausklang. Möge es auch anderen seiner Freunde so gehen, und möge ihnen und mir zu Zeiten, da wir dessen bedürfen, seine Gestalt, sein Wesen, sein Leben und Ende ein Trost und ein stärkendes Beispiel sein.
(1952)
1 Sentenz des römischen Dichters Ovid: »Wer gut verborgen war, der hat gutgelebt.«
Bei der Nachricht vom Tod eines Freundes
S chnell welkt das Vergängliche.
Schnell stieben die verdorrten Jahre davon.
Spöttisch blicken die scheinbar ewigen Sterne.
In uns innen der Geist allein
Mag unbewegt schauen das Spiel,
Ohne Spott, ohne Schmerz.
Ihm sind »vergänglich« und »ewig«
Gleich viel, gleich wenig …
Aber das Herz
Wehrt sich, glüht auf in Liebe,
Und ergibt sich, welkende Blume,
Dem unendlichen Todesruf,
Dem unendlichen Liebesruf.
I m Älterwerden neigt man ja dazu, auch die moralischen Erscheinungen, die Verwirrungen und Entartungen im Menschen- und Völkerleben wie Naturlaunen zu nehmen, wobei einem wenigstens der tröstliche Ausblick bleibt, daß noch nach jeder Katastrophe wieder Gras und Blumengewachsen sind, und daß nach jeder Verrücktheit die Völker wieder zu gewissen moralischen Grundbedürfnissen zurückkehren, denen trotz allem doch eine gewisse Stabilität und Norm innezuwohnen scheint.
(Aus einem Brief vom 14. 6. 1939 an Helene Welti)
W ährend unseres Gespräches tat [Rudolf Alexander] Schröder einen unvergeßlichen Ausspruch. Er sprach vom Alter und Altwerden (das mir sehr schlecht bekommt und schmeckt). Nachdem er etwas wie ein Loblied auf das Leben gesagt hatte, beugte er sich ganz nahe zu meinem Gesicht, mit strahlendem Lächeln, und flüsterte entzückt: »Mit dem Alter wird es ja noch immer schöner und schöner.«
(Aus einem Brief vom April 1952 an Georg von der Vring)
Gang im Spätherbst
H erbstregen hat im grauen Wald gewühlt,
Im Morgenwind aufschauert kalt das Tal,
Hart fallen Früchte vom Kastanienbaum
Und bersten auf und lachen feucht und braun.
In meinem Leben hat der Herbst gewühlt,
Zerfetzte Blätter zerrt der Wind davon
Und rüttelt Ast um Ast – wo ist die Frucht?
Ich blühte Liebe, und die Frucht war Leid.
Ich blühte Glaube, und die Frucht war Haß.
An meinen dürren Ästen reißt der Wind,
Ich lach ihn aus, noch halt ich Stürmen stand.
Was ist mir Frucht? Was ist mir Ziel! – Ich blühte,
Und Blühen war mein Ziel. Nun welk ich,
Und Welken ist mein Ziel, nichts andres,
Kurz sind die Ziele, die das Herz sich steckt.
Gott lebt in mir, Gott stirbt in mir, Gott leidet
In meiner Brust, das ist mir Ziel genug.
Weg oder Irrweg, Blüte oder Frucht,
Ist alles eins, sind alles Namen nur.
Im Morgenwind aufschauert kalt das Tal,
Hart fallen Früchte vom Kastanienbaum
Und lachen hart und hell. Ich lache mit.
D ieses Zusammensinken im Alter hat sein Gutes, es macht doppelt gleichgültig gegen außen, namentlich gegen die Weltgeschichte und die Aktiengesellschaften, von denen sie betrieben wird.
(Aus einem Brief um 1950 an Otto Basler)
D as Umziehen fällt mit dem Alter immer schwerer und schließlich ist einem der Totenwagen willkommener als jeder Möbelwagen.
(Aus einem Brief vom 15. 4. 1931 an Helene Welti)
M an wird im Alter so bescheiden; wenn man ordentlich geschlafen und keine heftigen Schmerzen hat, ist man schon beinahe zufrieden.
(Aus einem Brief, Ende August 1948 an Hans Huber)
[Die Neigung zu festen Gewohnheiten und Wiederholungen]
E twas andres… ist es mit der Erlebensweise alter Menschen, und hier darf und mag ich mir keine Fiktion und Illusion erlauben, sondern bleibe bei dem Wissen um die Tatsache, daß ein Mensch jüngeren oder gar jugendlichen Alters überhaupt keine Vorstellung von der Weise hat, in der alte Leute erleben. Denn es gibt für diese im Grunde keine neuen Erlebnisse mehr, sie haben das ihnen Gemäße und Vorbestimmte an primären Erlebnissen längst zugeteilt bekommen, und ihre »neuen« Erfahrungen, immer seltener werdend,
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