Mit Konfuzius zur Weltmacht
Biermann ausbürgerte, wurden vergleichbare Petitionen verfasst. Doch heute gibt es Mittel, von denen damals nicht einmal in Science-Fiction-Büchern etwas stand: Die Chinesen sammelten Unterstützer für ihren Appell online.
Ins Netz stellte Ai Weiwei auch die Geschichten der 7605 Schüler, die er als Erdbebenopfer gezählt hatte, woraufhin das Internet-Unternehmen seinen Blog schloss. Doch Ai Weiwei eröffnete an anderer Stelle einen neuen.
50 000 Internetpolizisten und 485 Millionen Internetnutzer spielen in China Katz und Maus. Die Polizisten suchen nach missliebigen Einträgen und löschen diese, versperren den Zugang zu Websites, die sie für gefährlich halten. Zynisch sprechen sie davon, sie »harmonisierten« das Internet – als würde die Zensur im Namen der Ideale von Konfuzius erfolgen. Wer nach Twitter, Facebook oder YouTube sucht, bekommt eine Fehlermeldung. Wie die DDR in ihrer Endphase mit Reiseverboten auch die Bürger verärgerte, die lediglich ihren Urlaub im Ausland verbringen wollten, so bringt die chinesische Regierung auch die gegen sich auf, die nur Partyvideos oder ihre Gefühle bei einem Sonnenuntergang verbreiten wollen. Gleichzeitig sind sie aber schlau und hartnäckig genug, um mit immer neuen technischen Tricks die elektronische Chinesische Mauer zu überwinden.
Als Ai Weiweis Blog wieder einmal verboten wurde, stellte der rundliche ältere Mann ein Nacktfoto von sich selbst ins Internet, mit einem Plüschtier vor den Genitalien, einem kleinen weißen Lama. Dieses Tierchen ist in China als cao ni ma bekannt, wörtlich »Gras-Schlamm-Pferd«. Das klingt harmlos, ist es doch eines von zehn Tieren in den uralten chinesischen Sagen. Heute ist es aber zugleich ein Symbol dafür, wie man die Internetfilter auch dadurch umgeht, dass man Reizwörter vermeidet und sie durch andere ersetzt, die zwar ähnlich ausgesprochen, aber anders geschrieben werden. Cao ni ma kann man nämlich auch als derben Kraftausdruck verstehen, der auf einen Geschlechtsakt mit der eigenen Mutter anspielt. Geschichten und Videos im chinesischen Internet handeln davon, wie Flusskrebse, chinesisch hexie , dem Gras-Schlamm-Pferd das Gras wegfressen. Hexie bedeutet bei leicht anderer Betonung aber auch »Harmonie«. So weist diese Episode verdeckt darauf hin, wie die Kommunistische Partei Konfuzius missbraucht, um Abweichungen im Internet und anderswo zu bekämpfen. Wegen dieser tiefsinnigen Hintergründe wurde ein Video des niedlichen kleinen Lamas innerhalb von zwei Monaten 1,4 Millionen Mal aufgerufen.
Wie sagte doch Konfuzius: »Ein treuer Diener kann den Herrn auf fünferlei Art mahnen, auf Umwegen, durch unverblümte, unterwürfige, direkte oder ironische Mahnungen. Man muss in jedem Fall bei der Auswahl seinen Herrn berücksichtigen. Im Allgemeinen bin ich für ironische Mahnungen.« Und doch schlug das Imperium zurück: Ai Weiwei wurde verhaftet. In Chinas Führung nämlich tobt ein Machtkampf, der bisweilen als ein Konflikt zwischen Liberalen und Hardlinern bezeichnet wird. Vielleicht verlaufen die Fronten aber auch ganz anders: Manche lieben China und wollen das Land mit konfuzianischer Weisheit regieren; andere wiederum begehren Bestechungsgelder und wollen vor allem deshalb ihre Macht sichern.
Dafür sprechen obskure Vorgänge zu Beginn des Jahres 2011: Im Januar wurde auf dem Platz des Himmlischen Friedens feierlich eine 9,5 Meter hohe Bronzestatue von Konfuzius eingeweiht. Sie blickte auf die Verbotene Stadt und auf das große Porträt Maos, der die Mitte des Reichs der Mitte nun nicht mehr für sich allein hatte. Drei Monate später wurde Konfuzius im Dunkel einer Nacht wieder entfernt und an einen unauffälligen Ort im Innenhof des Nationalmuseums versetzt – angeblich sei das von Anfang an so geplant gewesen. Dass Ai Weiwei im selben Monat verhaftet wurde, ist wohl Zufall – beides aber zeugt von den inneren Widersprüchen im neuen China. Ein Internetnutzer schrieb über das Verschwinden von Konfuzius: »Er ist wohl abgeholt worden. Die Anklage dürfte auf Wirtschaftsverbrechen lauten.«
Chinesen verstehen, worauf er anspielte, denn die Behörden erklärten Ais Verschwinden zunächst gar nicht, dann behaupteten sie, er habe Steuern hinterzogen. Als er nach zahlreichen Protesten wieder freigelassen wurde, drückte er sich in einem Interview der englischsprachigen chinesischen Tageszeitung Global Times gegenüber, die unter Schirmherrschaft des KP-Zentralorgans, der Volkszeitung , erscheint,
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