Mit reinem Gewissen
zurückgekehrt. In einer Klause traf er auf die Norwegerin Marie Lindgren, die den deutschen Matrosen mit nach Hause nahm. Ihr Bruder arbeitete zu dieser Zeit aktiv als Fluchthelfer. Mit dessen Hilfe wollten Walter und andere Partisanen versuchen, nach Schweden zu kommen. Das Vorhaben misslang, weil Lindgrens Bruder verhaftet wurde, nun wollte Walter sich eigentlich bei seinem Kommando stellen. Eine Woche später kam die Gestapo zu Marie Lindgren und nahm beide fest.
Walter hatte Glück im Unglück. Der Richter glaubte, in ihm einen guten Kern zu erkennen, sah ihn nicht als Deserteur. Er wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt und auf die Festung Akershus bei Oslo verbracht. Marie Lindgren beschreibt ihren Richter als grausamen und menschenverachtenden Despoten. Sie wurde zu zwei Jahren KZ verurteilt, die sie zeit ihres Lebens weder körperlich noch psychisch verarbeitete. Dreißig Jahre lang wird sie nicht erfahren, was aus dem deutschen Matrosen geworden ist, dem sie eigentlich nur helfen wollte.
Am 17. Juni 1944 hebt Generaladmiral Otto Schniewind das Zuchthausurteil gegen Gröger auf und fordert die Todesstrafe. Somit sind die Weichen gestellt für die Begegnung von Hans K. Filbinger und Walter Gröger. Zwischen August 1943 und November 1944 dient Filbinger beim Gericht des Admirals der norwegischen Polarküste. Für die Zeit, in der er an den verschiedenen Gerichten tätig war, ist ihm die Mitwirkung an 234 Verfahren nachzuweisen. Am Kriegsgeschehen ist er selbst nie aktiv beteiligt, befindet sich nie in Gefahr, muss nie um sein Leben bangen.
Das zweite Verfahren findet am 16. Januar 1945 in Oslo statt. Als Vertreter der Anklage fungiert Marinestabsrichter H. K. Filbinger. Nun wird Gröger auftragsgemäß zum Tode verurteilt. Filbinger drängt zur Umsetzung und pressiert den Termin der Vollstreckung. So schickt er am 23. Januar 1945 den Untersuchungsbericht, die Stellungnahme und das Gnadengesuch des Verteidigers zur Bestätigung an das Gericht des Führers der Kampfgruppe, die allerdings mit dem Vermerk zurückkommen, |110| das Gericht sei bereits aufgelöst worden. Unverzüglich sendet er ein Fernschreiben an den Marinechefrichter mit der Bitte um Bestätigung des Urteils, sucht Wege und Mittel, dieses Urteil zu vollstrecken.
Nachdem das Urteil bestätigt ist, setzt er die nächsten Schritte konsequent um. Er bestellt sich selbst zum Leitenden Offizier des Vollstreckungsverfahrens. In dieser Funktion beaufsichtigt er die Hinrichtung. Am 16. März 1945, knapp zwei Stunden nach Urteilsverkündung, wird der 22-jährige Walter Gröger um 16 Uhr in der norwegischen Festung Akershus von einem zehnköpfigen Exekutionskommando erschossen. Die drei Tage Spielraum, die normalerweise jedem Verurteilten zustehen, lässt Filbinger ungenutzt. Auch wird Grögers Verteidiger nicht informiert, der in diesem Moment vielleicht noch die einzigen menschlichen Worte an ihn hätte richten können. Nach der Vollstreckung ordnet Filbinger an, dass der Familie der wahre Todesgrund nicht mitzuteilen sei. Und all das keine acht Wochen vor der deutschen Kapitulation.
Ich konnte mehr erreichen, wenn ich dort,
wo nichts zu erreichen war, mitmachte.
Mit diesem Satz versucht Filbinger später sein Handeln zu erklären. Juristen und Wissenschaftler stellten allerdings im Nachhinein fest, dass im Fall Gröger gar keine Fahnenflucht vorlag, sondern »nur« unerlaubtes Entfernen von der Truppe, was niemals zu einer Todesstrafe hätte führen dürfen. Genau diesen Punkt hätte Filbinger als Jurist erkennen können und müssen.
Er hätte aufgrund der Aktenlage seine Bedenken gegen die Anklage äußern müssen. Der 1938 verfasste Standardkommentar »Zur Neugestaltung des Strafverfahrens der Wehrmacht« sieht nämlich vor, dass ein richterlicher Militärjustizbeamter, der eine Weisung oder Entscheidung nicht für rechtmäßig hält, seine Bedenken vorzutragen und sie in den Akten zu vermerken hat, wenn seine Vorstellung erfolglos bleibt. Der Gerichtsherr trägt dann allein die Verantwortung. In selbstständigem |111| Gehorsam sollten Wehrmachtrichter die Grundgedanken des Führer-Gesetzgebers anwenden, frei vom Gefühl der Paragraphenabhängigkeit.
In einem Interview bestätigt Filbinger genau diesen Absatz.
Wenn ich die Weisung für rechtswidrig gehalten hätte, hätte ich Bedenken anmelden müssen.
Im Fall Walter Gröger sah er keine Aussicht, etwas zu ändern. Filbinger stützt sich darauf, dass er als Anklagevertreter weisungs- und
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