Mit reinem Gewissen
Marine. Am 21. März 1943 wird er zum Marinerichter im Dienstbereich des Marineoberstkriegsgerichtsrates für den Nordseebereich berufen. Zu der Zeit sind die U-Boote noch Hitlers sogenannte »Glanzstreitmacht«. Damit wird Filbingers Behauptung widerlegt, dass er erst am Ende des Krieges Marinerichter wurde. Im Nachhinein |107| hat er diese Ernennung als »Himmelfahrtskommando« bezeichnet, dem er sich nicht entziehen konnte. Zudem habe er sein Menschenmögliches getan, um Unrecht abzuwenden. Im Falle des Matrosen Walter Gröger scheint diese menschliche Seite nicht vorhanden gewesen zu sein.
Ein Krieg – zwei Welten
Nach drei Jahren bitterer Kriegserfahrungen, im Frühsommer 1943, lehnt sich der Matrose Walter Gröger gegen das Kriegstreiben auf, nutzt jede Gelegenheit, sich gegen die Härte des Militärs zu wehren. Er steht vor seiner ersten Vernehmung, bekommt Arrest und kann nur noch über zensierte Post mit seiner Familie kommunizieren. Einzig die hinausgeschmuggelten Briefe können die wahren Gefühle vieler desillusionierter Soldaten und Matrosen in den letzten Jahren des Krieges vermitteln, Briefe, die wie Hilfeschreie an die Nation klingen.
Seinen einzigen Fronturlaub kann sich Walter nur mit Hilfe seiner Familie erschleichen. Eine der Schwestern setzt ein Schreiben auf, in dem sie erklärt, wie krank die Mutter sei. Dieser Brief wird Walter bei der Marine laut vorgelesen, sein Vorgesetzter hat darunter gesetzt:
[…] und daher erlauben wir ihnen, Ihre kranke Mutter zu besuchen! Heil Hitler.
Walter Gröger kommt im Sommer 1943 nach Mohrau. Die anfängliche Kriegseuphorie ist gänzlich verflogen, die Familie erlebt einen traumatisierten jungen Mann, der über die miserablen Zustände bei der Marine berichtet. Wie Sklaven werden die Matrosen schikaniert, und insbesondere Walter wird permanent bestraft, weil er sich zur Wehr setzt. Das, was zuerst von allen Seiten wie eine wunderbare »Stulle« angepriesen wurde, schmeckt nun bitter nach Blut und Tod. Walter fragt sich, ob Männer, mit denen man eigentlich einen Krieg gewinnen will, dermaßen schikaniert werden müssen.
Nachts schreckt er aus Träumen schweißgebadet auf: Er liegt mit seiner Flottille in der Stadt Wilhelmshaven, die unter extremen Luftangriffen leidet. Die Engländer überschütten die Stadt |108| mit Bomben. Walter muss mit ansehen, wie junge Burschen, noch halbe Kinder, die an der Flak stehen, wie lodernde Fackeln brennen und in ihrer Not schreiend von Häusern und Kaminmauern ins Wasser springen.
Ähnliche Bilder bringt auch der Vater aus dem Krieg mit, dem Walter in diesem Urlaub zum letzten Mal begegnet. In seinen Alpträumen sind es Frauen und Kinder, die hilflos dem Bombenhagel ausgeliefert sind.
Walter weiß schon, dass er auf die »Scharnhorst« geschickt wird – das große deutsche Kriegsschiff. Aus einem anfänglichen Jugendtraum ist ein Alptraum geworden.
1943 erleben die Mutter und die Schwestern wieder ein Weihnachten ohne Vater und Bruder. Wie immer lädt Anna auch in diesem Jahr ihre Freunde und Nachbarn am 25. 12. zu ihrem Geburtstag ein. Aber die Feiergesellschaft sitzt wie gebannt fast nur vor dem »Volksempfänger«. Bei allen ist die Euphorie gewichen, die Spannung steigert sich von Nachricht zu Nachricht. Mittlerweile gibt es kaum eine Familie, in der nicht der Verlust eines Sohnes, Bruders oder Vaters zu beklagen ist.
Am 26. 12. meldet der Reichssender den Verlust der »Scharnhorst«. Der große deutsche Traum, einfach untergegangen. Die »Scharnhorst« ist nach einem Gefecht mit den Sicherungsschiffen des alliierten Konvois JW 55 B im Eismeer versunken. Die Nachricht von einigen Überlebenden erfährt Anna Gröger allerdings nicht aus dem Radio, sondern von einer Nachbarin, deren Mann in der Wehrmacht einen hohen Rang bekleidet. Anna hat zu schweigen, muss die Beileidsbekundungen annehmen; innerlich hofft sie auf ein Wunder. Dieses Wechselbad der Gefühle ist kaum mit Worten zu beschreiben.
Ein paar Tage später erhält die Familie jedoch die amtliche Todesnachricht mit Bild: Ein wogendes Meer, darauf ein schwimmender Kranz mit Hakenkreuz. Nun bricht die Mutter zusammen, schreit ihre Wut gegen das Regime heraus, muss dabei noch aufpassen, nicht von den Nachbarn denunziert zu werden.
Im Februar 1944, als die Mutter sich ihrem Schicksal ergeben hat, trifft überraschend ein Brief von Walter aus dem Wehrmachtsgefängnis |109| ein. Er war nach einer durchzechten Weihnachtsfeier nicht auf sein Schiff
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