Mit reinem Gewissen
lautete Hitlers Vorgabe. Dieses Statement verdeutlicht umso mehr, dass der Soldat Hitlers Ansicht nach sterben kann, der Deserteur aber sterben muss.
Heute werden insgesamt 150 000 Strafakten und Urteilsabschriften der ehemaligen Wehrmachtsgerichtsbarkeit im Freiburger Bundesarchiv-Militärarchiv aufbewahrt. Insbesondere in der Marine wurden Todesurteile ohne Mitwirkung eines Verteidigers gefällt, da die Nichtbeachtung der Verteidigerpflicht nicht dazu führte, dass ein Urteil rechtswidrig wurde. Auch die zu den Verfahren zugelassenen Anwälte hatten oft nicht die Möglichkeit, alle Rechtsmittel einzusetzen, um ein Urteil wieder aufzuheben oder ein Gnadengesuch zu erwirken.
Warum ging gerade die Marine so hart und brutal gegen ihre Rekruten vor? Hier wirkte besonders das Trauma von 1917/18 noch nach. Im Oktober 1918 hatten in Wilhelmshaven die Matrosen gegen eine letzte Seeschlacht gestreikt: Sie verweigerten ihrem Kaiser den Dienst an der Waffe, da sie von der Notwendigkeit weiterer Kriegshandlungen nicht überzeugt waren, nachdem schon alle Fronten verloren waren. Noch immer |103| hoffte Kaiser Wilhelm II., mit seiner Hochseeflotte, in die er über Jahre Unmengen an Geld und Material investiert hatte, einen im Sinne der Geschichtsschreibung rühmlichen Abgang zu finden. Aber die meisten Matrosen verließen damals ihre Schiffe und gingen mit den Fabrikarbeitern auf die Straße, um das Ende des Krieges zu forcieren. Schließlich musste der Kaiser abdanken; in Berlin wurde die Republik ausgerufen. Die Matrosen und Unteroffiziere der deutschen Marine hatten also maßgeblich Anteil am Sturz des alten Systems gehabt.
Ungehorsam wollte man diesmal, im nächsten deutschen Weltkrieg, mit harter Hand begegnen. Der Krieg sollte bis zum Letzten ausgefochten werden, notfalls mit allen Mitteln und darauf zugeschnittenen Gesetzen.
Rückblende: Wer war Walter Gröger?
Walter Gröger wird am 27. Juni 1922 in Mohrau, einem streng katholischen Dorf in Oberschlesien, geboren. Er wächst in einer behüteten Umgebung auf, bleibt der einzige Junge neben vier Schwestern. Während der Weimarer Zeit lebt hier jeder in dem idyllischen Dorf so, wie es seit jeher in der Dorfgemeinschaft Brauch war. Mit dem Machtwechsel 1933 zieht allerdings allmählich die nationalsozialistische Gesinnung ein, und das Dorf wird von immer mehr Braunhemden geprägt.
Walters Mutter Anna, die sich innerlich gegen den von ihr so bezeichneten »braunen Sumpf« auflehnt und dies auch nach außen trägt, kommt schließlich an einen Punkt, an dem sie sich und vor allem ihre Kinder dem totalitären System nicht mehr entziehen kann. Um ihre Familie in dieser engen Dorfgemeinschaft zu schützen, sieht sie sich gezwungen zu schweigen.
Kinder und Jugendliche werden vom Hitler-Regime ganz bewusst manipuliert und schamlos für die gesteckten Ziele missbraucht. Ein massenweiser Zulauf zu den Jungorganisationen der NSDAP ist zu verzeichnen, da es der Partei wie keiner anderen zuvor gelungen ist, die jungen Menschen für sich zu gewinnen. Im Mittelpunkt der Nazireden an die deutsche |104| Jugend steht die Einheit der Jugend. Es wird ein ausgeklügeltes Programm für Kinder und Jugendliche entworfen, um diese ab ihrem achten Lebensjahr in eine Gemeinschaft zu drängen, in der sie gedrillt, gleichgeschaltet und auf den Krieg vorbereitet werden. Jeder soll für den Rest seines Lebens kontrollierbar bleiben und nur noch Teil einer gut funktionierenden Masse sein. Diese gedrillte Vielzahl soll, so will es die NS-Ideologie, die Welt erobern und das Tausendjährige Reich verteidigen. Baldur von Schirach führt 1928–1932 den NS-Studentenbund, ist 1931–1940 Reichsjugendführer der NSDAP sowie ab 1933 Jugendführer des »Deutschen Reiches« und damit formelles Oberhaupt und zugleich ideelle Leitfigur aller NS-Jugendorganisationen.
1943 sind 97 Prozent der Kinder und Jugendlichen in der Hitlerjugend (HJ) bzw. im Bund deutscher Mädel (BdM). Diese Zahlen zeigen, dass sich kaum eine Familie diesem System entziehen kann. Auch Anna Gröger, Walters Mutter, gerät unter diesen politisch-gesellschaftlichen Druck. Der Bürgermeister von Mohrau fungiert gleichzeitig als Ortsbauernführer, läuft mitunter sogar auf dem Feld in der braunen Uniform herum. Die Frauen gruppieren sich zur »Frauenschaft«; irgendwie scheint jeder dabei zu sein. Die Kinder werden von der Straße weggeholt, üben sich in verordneter Kameradschaft, ziehen gemeinsam in die Ferienlager, singen, musizieren –
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