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Mit reinem Gewissen

Mit reinem Gewissen

Titel: Mit reinem Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Pereis
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Todeskandidat Baranowski vorgestellt, das uneheliche Kind einer Kontoristin. Die Mutter heiratet später einen Textilhändler, heißt dann Frau Hoffmann und hat nur noch eine lose Verbindung mit dem Sohn. Regelmäßiger Schulbesuch findet nicht statt. Er arbeitet bei einem Altwarenhändler, wird bei Kriegsausbruch Soldat und erhält damit erstmals geordnete Verhältnisse einschließlich der Verpflegung. Baranowski wird zweimal verwundet, bekommt das Eiserne Kreuz zweiter Klasse, wird Obergefreiter. Nach einem Schuss in die Kniescheibe gelangt er ins militärische Hinterland, zu einer Bautruppe. Erstmals werden polnische und russische Sprachkenntnisse aus seinen Kinderjahren gefragt. Er wird Einkäufer |118| seiner Truppe und lernt in einem Dorf die Ukrainerin Ljuba kennen, eine junge Witwe mit Kind. Wenn er verlegt wird, schreibt er kleine Briefe an Ljuba, harmlose, aus denen sich aber die Truppenbewegungen erkennen lassen. Bei einer Razzia der SS werden diese Briefe gefunden, er kommt wegen Geheimnisverrats vor Gericht, erhält eine Gefängnisstrafe, die aber erst nach dem Krieg zu verbüßen ist. Stattdessen wird er sofort in eine Strafkompanie, ein sogenanntes Bewährungsbataillon, versetzt, das das Überleben unwahrscheinlich macht. Bei der Fahrt an die Front springt er aus dem fahrenden Zug, taucht unter, wird aber nach einigen Wochen bei einer Aktion gegen Partisanen gefasst. Der Tatbestand der Fahnenflucht ist eindeutig. Der Kriegspfarrer verschnürt die Akte wieder. »Wenn in zwei Stunden die Schüsse gefallen sind, dann fragt keine Menschenseele mehr nach der Sache dieses Mannes«, denkt er.
    Im Gefängnis soll es der Pfarrer dem Baranowski sagen. Es wird ein lakonischer Dialog. Wie wird es sein? Als Soldat wird er nicht den Strick, sondern die Kugel bekommen. Baranowski meint, dass es geschieht, weil er »auch einmal ein paar Wochen ein Mensch sein wollte«. Und dann wollte er dem langsamen Tod in der Strafkompanie entgehen. Der Pfarrer und der Gefangene haben noch eine Stunde Zeit. Sie schreiben einen Brief an Ljuba. Der Pfarrer kennt die kyrillischen Buchstaben, der Soldat diktiert. »Es sind Menschenworte«, versteht der Pfarrer. Der Soldat unterschreibt. Und später noch der Brief an Frau Hoffmann, die Mutter: »[…] muss Dir leider mitteilen, dass ich heute früh erschossen werde […] Der Herr Pastor wird Dir das Nähere schreiben […] Denke manchmal an Deinen Sohn.« Es entsteht ein Vertrauensverhältnis zum Pfarrer. Zum Abschied küsst der Todeskandidat den Pfarrer auf den Mund. Dieser verspricht, die Briefe in jedem Fall zu besorgen.
    Das Zeremoniell des Todes steht der Verurteilte gefasst durch. Vor der Erschießung wird dem Kriegspfarrer das Wort erteilt. Er sagt es dem Verurteilten ganz leise ins Ohr. Nachdem die Schüsse gefallen sind, lobt der Kriegsgerichtsrat den Pfarrer, dass er das tadellos hingekriegt habe. Der Pfarrer sagt mühsam, |119| es solle ihnen der Gerechtigkeit wegen nicht wohl sein. Der Kriegsgerichtsrat bietet ihm einen Schnaps an. Zur Vermeidung der Rückfahrt nimmt den Pfarrer ein Flieger, ein Widerstandsgeist, mit, den er kennt und mit dem ihn die Liebe zur Musik verbindet. Als der Flieger von der Exekution erfährt, sagt er: »Diese Bande. Na – alles aufs Konto.« Davon wird keiner mehr lebendig, meint der Pfarrer. Aber wenn der Hitler in den Tartarus fährt, machen die Geister Musik, sagt der Flieger, Gluck. Auf dem Rückflug im Oktobersturm denkt der Pfarrer über die Nazis nach: »Es ist ein weiter Weg, bis auch die Hasserfüllten verwandelt sind.«
    Albrecht Goes hätte diese Erzählung ohne eigene Kriegspfarrerpraxis nicht schreiben können. Seine Sprache ist einfach und authentisch. Landschaft, Personen und Geschehen fügen sich zusammen. Über den Ich-Erzähler erfährt man wenig, obwohl er die Hauptperson ist, des Dichters Alter Ego, wohl noch jung, aber mit großer Menschenkenntnis. Wenn man im Zug bei einer Versetzung an eine andere Front durch die Heimatstadt fährt und die eigene Frau auf der Terrasse vorbeifliegen sieht, dann gibt es wohl Heimat und Familie, auch für den Pfarrer. Die Hauptfigur bleibt aber ohne eigene Geschichte, weil durch sie nur das Funktionieren des Kriegs verständlich werden soll.
    Auch die Gegner des Kriegs funktionieren, der Kriegspfarrer ist durch ein falsches Wort seines Vorgängers in die Rolle des Seelsorgers geraten und gewährleistet – objektiv gesehen – eine reibungslose Exekution, paradoxerweise durch die von ihm dem

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