Mit verdeckten Karten
begonnen, Ordnung zu schaffen, zuerst auf dem Schreibtisch des Abteilungsleiters. Zu dieser Zeit hatte Schulgin sich zusammen mit dem Generaldirektor in einer Besprechung befunden, Swetlana Naumenko servierte den hohen Herren Kaffee und Getränke, und Irina war zur Visastelle gefahren. Der übereifrige Tarassow hatte sich sofort über die Zimmerecke hinter dem Raumteiler hergemacht, in der sich Schulgins Schreibtisch und sein Computer befanden.
»Igor kam von der Besprechung zurück, sah seinen Schreibtisch und wurde leichenblaß«, berichtete Irina, während sie Kaffee in zierliche kleine Tassen eingoß. »Nimmst du Zucker?«
»Zwei Stück«, erwiderte Nastja. »Und warum ist Schulgin leichenblaß geworden?«
»Weil er in seinem Schreibtisch alles mögliche hat. Kondome, Pornohefte, schmutzige Gläser, Papiere, die sich in Aktenordnern befinden müssen, anstatt wer weiß wo herumzufliegen. Und jetzt stell dir vor, er kommt zurück in sein Büro und findet alles aufgeräumt, säuberlich getrennt voneinander und zu ordentlichen Häufchen geschichtet. Die Kondome, die Pornohefte und obenauf Postkarten mit ähnlichen Sujets. Die Gläser sind abgewaschen, poliert und in die Küche gebracht worden. Die Papiere liegen ordentlich in Mappen. Es ist, als hätte dich jemand durchs Schlüsselloch beim Sex beobachtet und dir hinterher mit unschuldigen Augen Empfehlungen über die richtige Haltung der Beine erteilt. Verstehst du, Nastja, es kam ihm einfach nicht in den Sinn, daß das, was er machte, unanständig sein könnte. Daß es indiskret ist, in den Sachen anderer herumzuwühlen. Daß man Menschen, die seit vielen Jahren Zusammenarbeiten und ihre eigenen unausgesprochenen Regeln der Koexistenz erarbeitet haben, nicht seinen Stil aufdrängen kann. Daß man nicht den ganzen Tag herumwirbeln, auf die anderen einreden und sie bei der Arbeit stören kann. Man konnte ihm nicht böse sein, weil er dabei so unschuldig aussah. Aber aushalten konnte man es auch nicht. In meinem Schreibtisch war nichts, wofür ich mich hätte schämen müssen, das kannst du mir glauben, aber ich bin auch leichenblaß geworden, als ich sah, was er mit meinen Sachen gemacht hat. Und dann erst Schulgin, dessen ganze Wirtschaft plötzlich offen vor den Augen der anderen dalag.«
»Und Swetlana? Hat er bei der auch Ordnung gemacht?«
»Und wie! Zuerst hat er ihren ganzen Schreibtisch auseinandergenommen, dann den Schrank mit den Flaggen.«
»Kurz, er hat euch alle drangekriegt«, resümierte Nastja, während sie ihren Kaffee austrank und die Tasse auf den hübschen kleinen Unterteller zurückstellte.
»Was willst du damit sagen? Daß einer von uns ihn umgebracht hat?«
Nastja holte schweigend eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Handtasche und suchte lange nach dem Feuerzeug.
»Hör zu!«
Irina erhob sich und trat ans andere Ende des Zimmers, so, als hätte sie plötzlich Angst davor bekommen, sich in der Nähe ihrer einstigen Studienkollegin zu befinden.
»Ich habe zwar keinen einzigen Tag in meinem Beruf gearbeitet, aber ich erinnere mich noch sehr gut an einiges von dem, was wir an der Uni gelernt haben. Du verdächtigst vor allem mich, weil ich an diesem Tag ungewöhnlich früh ins Büro gekommen bin und Tarassows Leiche entdeckt habe, und weil es dafür keine Zeugen gibt. Stimmt’s? Du denkst, daß er in meinem Schreibtisch etwas gefunden hat, irgendein Geheimnis, das auf keinen Fall ans Tageslicht kommen durfte. Das denkst du doch, Anastasija, habe ich recht?«
Nastja schwieg. Ja, Irotschka Koroljowa war eine sehr begabte Studentin gewesen, und obwohl sie in den zwölfeinhalb Jahren seit dem Abschluß der Universität keinen einzigen Tag im Rechtspflegesystem gearbeitet hatte, verfügte sie immer noch über Biß. Jedenfalls hatte sie sich nicht in ein Heimchen am Herd verwandelt, wie so viele Frauen, die zugunsten von Familie und Kindern ihren ursprünglichen Beruf aufgaben.
»Warum sagst du nichts?« bohrte Irina weiter, ihre Stimme klang immer gereizter. »Verdächtigst du mich oder nicht?«
»Ja, ich verdächtige dich«, bekannte Nastja, während sie mit einem tiefen Zug den Rauch ihrer Zigarette inhalierte und wieder ausstieß. »Ich bin gezwungen, dich zu verdächtigen. Dich, Schulgin, die Naumenko und die restlichen dreitausend Mitarbeiter des Staatlichen Zentrums für Internationale Beziehungen. Dazu kommen etwa ebenso viele Hotelgäste des Zentrums und die zig tausend Leute, die für das Ministerium für Maschinenbau
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