Mit verdeckten Karten
ich nicht.«
»Hat er das Büro oft verlassen?«
»Ziemlich oft. . .«
2
Das Verhalten von Swetlana Naumenko war bei weitem nicht so kaltblütig wie das von Irina Koroljowa. Sie war sehr nervös, fing immer wieder an zu weinen, nahm Herztropfen und hielt sich ein Taschentuch an die Nase.
Nastja stellte ihr dieselben Fragen wie Irina: Mit wem hatte Jurij Jefimowitsch Tarassow Kontakt, was erzählte er von sich und seinen Bekannten, mit wem führte er Telefonate, warum war er an dem verhängnisvollen Tag früher als sonst zur Arbeit gekommen?
»Vielleicht wollte er die Wände abwaschen«, meinte Swetlana.
»Was wollte er?« Nastja glaubte, sich verhört zu haben.
»Nun ja, wissen Sie, Jurij Jefimowitsch war der Meinung, daß unsere Wände schmutzig sind und daß man sie abwaschen muß. Die Putzfrau macht das nicht, und dazu ist sie auch nicht verpflichtet. Igor Sergejewitsch hat Tarassow kategorisch verboten, sich in der Arbeitszeit mit solchen Dingen zu beschäftigen, weil ja ständig Besucher zu uns kommen, aber Jurij Jefimowitsch bestand darauf, daß die Wände gerade deshalb abgewaschen werden müßten. Vielleicht. . .«
Die Naumenko schluchzte auf und führte wieder ihr Taschentuch an die Nase.
»War Igor Sergejewitsch sehr verärgert über Tarassows Putzaktivitäten?«
»Ja, sehr. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie. Er hat zwar nichts gesagt und Jurij Jefimowitsch nicht zurechtgewiesen, aber man sah ihm die Verärgerung an. Wissen Sie, Schulgin ist ein so herzensguter Mensch, sogar ein bißchen leichtsinnig, er trinkt gern einen, scherzt und lacht viel. Aber nach Tarassows Aufräumarbeiten in seinem Schreibtisch hatte er sich völlig verändert. Er sah böse aus, sprach mit niemandem mehr und war blaß im Gesicht.«
»Wissen Sie warum? Erraten Sie den Grund?«
»Immerhin hat Jurij Jefimowitsch eine Menge schmutziges Zeug aus seinem Schreibtisch herausgeholt und es vor aller Augen ausgestellt. Wem würde so etwas schon gefallen.«
»Hat Schulgin nicht mit Tarassow gesprochen, hat er ihm nicht gesagt, daß man nicht in fremden Schreibtischen herumwühlt, erst recht nicht in Abwesenheit dessen, dem dieser Schreibtisch gehört?«
»Ich weiß es nicht.« Swetlana zog die Nase hoch. »Ich habe nichts dergleichen gehört.«
»Und Sie, Swetlana? Er hat Ihren Schreibtisch ja auch aufgeräumt. Haben Sie ihn nicht zur Rede gestellt?«
»Nein. Er war immerhin mein Chef.«
»Na und? Darf einer, nur weil er der Chef ist, sich alles erlauben?«
»Ich weiß nicht . . .« Die Naumenko begann wieder zu schluchzen. »Er . . . er hat gesagt, daß Rationalisierungsmaßnahmen bevorstehen, daß die Stellen um dreißig Prozent gekürzt werden sollen . . . und daß es jeden treffen kann.«
Alles klar, dachte Nastja. In Anbetracht der bevorstehenden Stellenkürzungen hat sie es nicht gewagt, sich ihrem Chef zu widersetzen. Eine primitive, aber eiserne Logik. Wenn dreißig Prozent der Arbeitsplätze wegrationalisiert werden sollen und gleichzeitig der freie Posten des stellvertretenden Abteilungsleiters neu besetzt wird, anstatt diese völlig sinnlose Stelle zu streichen, dann muß der neue Chef eine sehr wichtige Person sein, fast so etwas wie ein gekröntes Haupt oder zumindest der künftige Generaldirektor. Ein einziges Wort gegen ihn, und du bist deine Stelle los.
»Und Irina? Wie hat sie darauf reagiert, daß Tarassow ihren Schreibtisch durchwühlt hat?«
»Sie war natürlich auch wütend. Sie hat sogar eine böse Bemerkung gemacht, aber er hat sie wahrscheinlich nicht verstanden.«
»Und was für eine Bemerkung hat sie gemacht?«
»Etwas in der Art, daß einer, der nicht weiß, was ein Tampon ist, auch keine natürliche Scheu besitzt, in den Sachen einer Frau herumzuwühlen. Ich dachte, Tarassow wird rot, aber er hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt, er tat so, als hätte er nichts gehört.«
»Irina hat wohl keine Angst vor den Rationalisierungsmaßnahmen?«
»Doch, natürlich hat sie auch Angst.«
»Warum hat sie es dann gewagt, Tarassow zu widersprechen?«
»Wissen Sie, früher sah der Stellenplan für unsere Abteilung zwei Chef- und fünf Sachbearbeiterposten vor. Als Irina zu uns kam, waren drei der Sachbearbeiterstellen besetzt, man gab ihr die vierte und bat sie, vorübergehend die Arbeit des fehlenden Fünften mitzumachen. Sie erklärte sich dazu bereit, zumal man ihr einen finanziellen Ausgleich für den höheren Arbeitsaufwand versprach. Natürlich hat man dieses Versprechen nie
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