Mit Yoga Lebensaengste bewaltigen
Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Schluss
Dieses Buch ist aus dem Wunsch entstanden, die Leserin und den Leser einzuladen, den ängstlichen Rückzug zu überwinden und an der Gestaltung unserer Welt wieder mehr teilzunehmen. Ich bin nicht der Meinung, dass unsere Zeit schlechter ist als frühere Zeiten. Immerhin gibt es – zumindest in unserer westlichen Lebenswirklichkeit – weder Leibeigenschaft noch Hexenverbrennung oder Pest und Cholera. Wir leben heute in einer Zeit des Wandels, und Angst ist eine natürliche Begleiterscheinung für solche Zeiten. Indem wir mitbestimmen und mitentscheiden, was ruhig »sterben«, d. h. losgelassen werden darf, etwa manche Einstellungen und Gewohnheiten, können wir Ideen für eine lebenswerte Zukunft mitentwickeln.
Wir verfügen heute über viel Wissen über psychologische, ökologische und ökonomische Zusammenhänge und können gute Ideen für eine lebenswerte Zukunft entwickeln. An verschiedenen Stätten finden sogenannte Zukunftswerkstätten und Zukunftskonferenzen statt. Bürgerschaftliches Engagement ist gefragt, damit wir nicht alle Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten geldgierigen Finanzmarktspekulanten, eitlen Politikern oder machthungrigen Funktionären von Großkonzernen überlassen. Kürzlich las ich im Stern einen humorvollen Artikel über die »Generation Kuschel«, die »Angst vor dem Job, der Beziehung und dem Leben hat« 68 . In diesem Artikel wurde eine Studie der Universität Bochum zitiert, die zu dem Ergebnis kam, dass die Zahl der Jungakademikerinnen und -akademiker mit Führungsambitionen in den letzten acht Jahren dramatisch gesunken ist. Besonders Männer um die 30 Jahre seien von der Angst vor Verantwortung und Bindung betroffen.
Das Bedürfnis nach Rückzug wahrzunehmen, ist richtig und wichtig. Um lebendig zu bleiben, braucht der Mensch jedoch auch die Teilnahme an der Welt. Ein zentrales Anliegen im Yoga besteht darin, die Polaritäten bewusst zu pflegen und miteinander zu verbinden. Leben ist Rhythmus und Rhythmus ist Leben – das macht uns das Herz vor: Sich-Verbinden und Sich-Lösen. Es ist wichtig, die Angst wahrzunehmen und sich im nächsten Schritt von ihr zu distanzieren, indem erkannt wird: »Ich habe zwar Angst, aber ich bin mehr als meine Angst. Es gab einen Zeitpunkt vor der Angst und es wird einen Zeitpunkt danach geben, wo wieder andere Dinge im Vordergrund stehen.« Mit den Worten des von mir so geschätzten amerikanischen Glücksforschers Mihaly Csikszentmihalyi 69 hört sich das so an: Um Flow- oder Glückserlebnisse haben zu können, braucht der Mensch die Teilhabe an der Gesellschaft und das Erkennen von Handlungsmöglichkeiten, mit denen er die eigenen Fähigkeiten verbessern kann, um sich erreichbare Ziele setzen zu können.
Kürzlich war ich auf einem Kongress und hörte zu, wie die Ärztin und Psychotherapeutin Luise Reddemann vorgestellt wurde. Der Moderator würdigte ihre Verdienste um die Traumatherapie und hob besonders hervor, dass sie den Begriff »Würde« in die Psychotherapie eingeführt habe. Allein das Hören und Nachsinnen über »Würde« kann bereits subtile Veränderungen in der Seele hervorrufen. Dieser Begriff zielt auf die Einmaligkeit und Besonderheit des Individuums mit seinem sehr persönlichen Schicksal und bringt Selbstakzeptanz und das Bewusstsein des eigenen Wertes genauso wie Anerkennung durch die Mitmenschen zum Ausdruck. Diese Hervorhebung der zentralen Bedeutung von Würde hat mich sehr beeindruckt, und es ist mir ein Bedürfnis geworden, nach Wegen zu suchen, wie diese zutiefst menschliche Qualität sich ausdrücken und auch körperlich verankern lässt. In diesem Buch habe ich den Begriff Würde noch um die Dimension von Sinn erweitert. Ein sinnvolles Leben zu führen, ist ohne Würde nicht möglich. Die Frage nach dem Sinn ist eine Frage nach den Prioritäten
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