Mit Yoga Lebensaengste bewaltigen
Arbeit durfte warten, bis die Person sich wieder mit ihrer Aufgabe verbinden konnte. Auch wenn das Leben in dieser Gemeinschaft nicht mein Weg war oder ist, so hat es mich doch nachhaltig beeindruckt. Kurze Zeit später überraschte mich meine Tochter – sie war gerade in der Pubertät – mit der sehr entschiedenen Aussage: »Heute gehe ich nicht zur Schule.« An der eindrucksvollen Klarheit, mit der diese Äußerung vorgebracht wurde, merkte ich, dass mit elterlicher Autorität nicht viel zu erreichen war. In einem Gespräch konnte sie mir deutlich machen: »Ich bin heute so schlecht gelaunt, ich würde meine Lehrer und Mitschüler nur nerven, anstecken oder aggressiv anmachen.« In Nachwirkung von Findhorn konnten wir uns auf den Kompromiss einigen, dass ich ihr eine Entschuldigung für die Schule schrieb, sie aber die Verpflichtung hatte, dafür zu sorgen, wieder in eine bessere Verfassung zu kommen. Ich ließ sie allein in ihrem Zimmer und hörte bald darauf laute und wilde Musik und Schreien. Nach einer guten Stunde kam sie wieder heraus und teilte mir mit, dass sie jetzt in der Lage sei, zur Schule zu gehen, was sie dann auch tat.
»Fürchtet euch nicht – ich verkündige euch Freude!«
Ich habe mich öfters gefragt, warum in der Bibel dort, wo eine Begegnung mit der geistigen Welt bevorsteht und sich Himmlisches offenbaren will, jeweils eine Entwarnung stattfindet. In der Bibel gibt es zwei Stellen, in denen eine Engelbegegnung offensichtlich Angst auslöst: Als der Verkündigungsengel Gabriel zu Maria kommt, um ihr die bevorstehende Schwangerschaft und Geburt des Jesuskindes mitzuteilen, begegnet er ihr mit den Worten: »Fürchte dich nicht!« Auch die Engel, die den Hirten in der heiligen Nacht die frohe Botschaft bringen, beginnen mit diesen Worten ihre Begrüßung. Es wird ihnen nicht nur mitgeteilt, dass es nichts zu fürchten gibt, sondern dass in Wirklichkeit ein Grund zur Freude bestehe. Freude und Furcht, eine sich öffnende und eine zurückweichende seelische Bewegung, scheinen zunächst ja sehr polar zueinander zu sein.
Wenn Menschen in einer Krisensituation zu mir in die Therapie kamen, konnte durch ein subtiles Nach-innen-Lauschen oftmals festgestellt werden, dass bereits seit einiger Zeit etwas leise angeklopft hatte, das nicht bis an die Bewusstseinsoberfläche dringen durfte, weil es Angst auslöste. Indem es sich immer lauter meldete, wurde es schließlich zur Krise, die ein Handeln erforderte. Eine von außen oder von innen hereinbrechende Krise stellt oft den Auslöser für eine spirituelle Suchbewegung dar. Vielleicht meinen die Bibelstellen diese Angst, die offensichtlich macht, dass jetzt etwas Neues – eine andere Stufe des menschlichen Bewusstseins – notwendig wird.
Das Erleben von innerer Leere nach einem Schock oder die starke Sehnsucht nach Tiefe macht es unumgänglich, Alternativen zu der bisherigen Art zu leben zu finden. Auch die Traumatherapie hat das Thema Meditation entdeckt. Ein Trauma stellt mit starker Wucht alles Bisherige in Frage und konfrontiert mit der Notwendigkeit, dem Leben eine andere Richtung zu geben. Ohne die Anerkennung von etwas Höherem – wie es auch die Anonymen Alkoholiker mit ihrem 12-Schritte-Programm tun – lässt sich die nach solchen Schicksalsschlägen aufgeworfene Sinnfrage nicht lösen.
Ich bin Mitglied des SEN (Spiritual Emergence Network), dem Therapeutennetzwerk für spirituelle Entwicklung und Krisenbegleitung, und werde in dieser Funktion von Menschen angerufen, die durch eine Krise unerwartet mit spirituellen Fragen konfrontiert werden. Plötzlich taucht eine neue Dimension in ihrem Leben auf, das Alte passt nicht mehr, und dies löst natürlicherweise Angst aus. Neue Erlebnisdimensionen, mit denen bisher noch keine Erfahrung gemacht wurde, lösen – das wurde bereits deutlich gemacht – Angst aus, und dies kann auch beim ersten Auftauchen von Sinnfragen geschehen.
Die Beschäftigung mit der Frage nach dem Sinn und das Bedürfnis nach Spiritualität sind heute weit verbreitet; vieles wird ausprobiert. Gelegentlich werden forcierende Techniken angewandt, und mit Ehrgeiz möchte man gerneauch auf diesem Gebiet schnelle Erfolge haben. Doch eine zu plötzliche Begegnung mit der transpersonalen Dimension kann nicht nur Angst auslösen, sondern auch wie ein Schock wirken und tatsächlich gefährlich sein. Eine mystische Erfahrung, eine Nah-Tod-Erfahrung oder eine Gotteserfahrung kann so gewaltig sein, dass sie eine innere Notsituation
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