Mit Yoga Lebensaengste bewaltigen
sie Sinn hatte und die eigenen Einschränkungen vergessen ließ. Es wurde immer deutlicher, dass Frau Bergmann eigentlich eine sehr kreative und intelligente Frau war, die Angst vor ihrer eigenen Größe hatte, wie der in Kapitel 4 zitierte Satz von Nelson Mandela zum Ausdruck bringt.
Als Frau Bergmann nach einiger Zeit noch einmal auf diese Situation zu sprechen kam, war für sie klar, dass es sich um eine »Eingebung von oben« gehandelt hatte. Hätte man sie vor der Szene mit dem Busfahrer gefragt, ob sie – die immer Angst vor männlichen Autoritäten hatte – sich traut, auf diese Weise vor ihn hinzutreten, hätte sie das sicher verneint. Sie erlebte, dass es Kräfte gibt, die durch sie hindurch wirken, die größer sind als sie und vor denen sie nur Ehrfurcht haben kann. Die Erfahrung hatte für sie auch eine entspannende Wirkung im Sinne von: »Ich muss mich selbst gar nicht mehr so anstrengen. Es geht eher darum, die guten Kräfte in mir wirken zu lassen.« Sie fühlte sich beschenkt und glücklich, immer mehr mit etwas Größerem verbunden zu sein. Diese Verbindung mit einer höheren Macht, die zunächst Angst auslöst, kann – wie eingangs vermutet – ein Grund zur Freude sein. Ein Entwicklungsschritt,eine neue Epoche deutet sich an, die eine schönere Zukunft mit neuen Möglichkeiten in Aussicht stellt.
Das Beispiel von Frau Bergmann macht deutlich, dass die Verbundenheit mit etwas Höherem, das man auf die Erde und zu den Mitmenschen bringen will, sinnvoll ist. Eine Geste, die das zum Ausdruck bringt, kann in der folgenden Übung »Kreuz« nachempfunden werden: Durch die Vertikale drückt sich die Verbindung mit Idealen, Werten und »Eingebungen von oben« aus, sie stellt die Verbindung vom Himmel zur Erde her. In der Horizontalen wird die Verbindung zu den Mitmenschen deutlich.
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Übung: Das Kreuz
Stellen Sie sich bitte aufrecht und entspannt hin, die Füße sind parallel zueinander und etwa 10 cm voneinander entfernt. Nun breiten Sie Ihre Arme in Schulterhöhe rechts und links aus. Einatmend konzentrieren Sie sich auf die vertikale Linie vom Scheitelpunkt zu den Füßen: Nach oben sind Sie mit dem Himmel und nach unten mit der Erde verbunden. Und ausatmend schicken Sie die empfangene Energie in die horizontale Linie, die entlang Ihrer ausgebreiteten Arme verläuft und Sie mit Ihren Mitmenschen verbindet. Versuchen Sie, ausatmend auch die Schultern zu entspannen und nur die Muskeln zu betätigen, die für diese Übung wirklich gebraucht werden.
Abb. 30: Das Kreuz
Ich bin aufgerichtet zwischen Himmel und Erde und verbunden mit meinen Mitmenschen.
Wo spüren Sie den Kreuzungspunkt der beiden Linien? Die Arme werden im Karma-Yoga die »Verlängerung des Herzens« genannt; sie verwandeln das, was ich im Innern fühle, in ein handelndes Tun. Vielleicht mögen Sie eine Hand mit der Handinnenfläche nach oben öffnen als empfangende Geste und die andere Hand mit der Innenfläche nach unten drehen als abgebende und loslassende Geste.
Lassen Sie die Arme sinken, wenn die Übung anstrengend wird. Spüren Sie nach.
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Der Punkt, an dem sich zwei Energielinien kreuzen, hat eine hohe, fast heilige Symbolkraft. Als ich mich vor Jahren intensiv in die Weisheit der chinesischen Schriftzeichen einführen ließ, brachte mir mein Meister bei, dass ich immer zuerst die waagrechten Linien zu Papier bringen müsse. Bevor ich die kreuzenden Linien, die von oben nach unten kommen, setzen dürfe, müsse ich einen Moment der Besinnung und Konzentration einlegen. So bekam ich jedes Mal fast Ehrfurcht und das Gefühl von etwas ganz Besonderem, wenn durch mein Tun etwas von oben in die unteren Striche bzw. Ebenen einbrach. Es ist interessant, dass die chinesische Kalligraphie ein Teil des präventiven Gesundheitssystems war in einer Zeit, als die Ärzte in China nur dann bezahlt wurden, wenn die ihnen anvertrauten Menschen gesund blieben.
Leider ist das Kreuz in der christlichen Symbolik vor allem mit Leid, Erleiden und Opfersein assoziiert. Das Plus-Zeichen in der Mathematik deutet noch auf die verbindende Energie hin und hat im Vergleich mit dem Minus-Zeichen eine positive Kraft. Eine heilsame Bedeutung wird dem Kreuz bzw. dem Überkreuzen auch in der Kinesiologie und der Traumatherapie des EMDR zugeschrieben, bei der in pendelndem Rhythmus abwechselnd der Blick nach rechts und links gelenkt wird. In der dadurch entstehenden Verbindung von rechter und linker Hirnhälfte und entsprechend rechtshemisphärischem
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