Mitch - Herz im Dunkeln
und führte telefonisch Vorstellungsgespräche, um die ständig frei werdenden Stellen neu zu besetzen.
Sie hatte den Job auf der Lazy Eight Ranch angenommen, weil er eine Gelegenheit bot, ihre Fähigkeiten als Managerin unter Beweis zu stellen und gleichzeitig viel draußen zu sein.
Sie liebte das Reiten, die Sonne New Mexicos. Sie liebte es, wie dunkle Gewitterwolken am Himmel über der Prärie dahinjagten, und sie liebte das Rot und Braun und gedämpfte Grün der Berge. Sie liebte die Lazy Eight Ranch.
Aber für Justin Whitlow zu arbeiten war das Allerletzte. Wer sagte eigentlich, dass eine Frau in Hosen nicht feminin aussehen konnte? Was sollte sie denn seiner Meinung nach anziehen, um sich unter seine Freunde und Geschäftspartner zu mischen? Etwas extrem tief Ausgeschnittenes mit Pailletten? Als ob sie sich so etwas von dem mageren Lohn leisten könnte.
Ja, sie liebte es hier. Aber wenn sich nicht bald etwas änderte, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch sie ging.
Die Nacht war mondlos. Er lag regungslos auf dem Bauch. Er ließ sich Zeit, damit seine Augen sich wieder ganz an die Dunkelheit gewöhnten. Besonders an die Dunkelheit hier, unmittelbar hinter dem Hochsicherheitszaun.
Er passte seine Atmung den nächtlichen Geräuschen an – dem Zirpen der Grillen, der Ochsenfrösche und den Bäumen, die über ihm leise im Wind rauschten.
Er konnte das Haus oben auf dem Hügel erkennen. Lautlos kroch er auf Knien und Ellbogen vorwärts. Er blieb unten am Boden und somit unsichtbar.
Er hielt inne und roch die Zigarette, bevor er das rote Glimmen sah. Der Mann war allein und weit genug weg vom Haus.
Leise hob er das Gewehr und überprüfte es, ehe er durch das Zielfernrohr sah. Er stellte das Nachtsichtgerät so ein, dass er das Ziel gut sah. Denn der Mann mit der Zigarette war das Ziel. Nicht der Gärtner, der einen nächtlichen Spaziergang unternahm. Nicht der Koch auf der Suche nach den perfekten wilden Pilzen. Nein, er erkannte diesen Mann von den Fotos wieder, die er gesehen hatte. Sachte betätigte er den Abzug und …
Bum.
Der gedämpfte Schuss des Gewehrs ging ihm durch Mark und Bein.
Mit weit aufgerissenen Augen setzte er sich auf und wusste sofort, dass er nur geträumt hatte. Das einzige Geräusch in dem dunklen Zimmer war sein schneller Atem.
Aber der Raum war ihm unbekannt. Diese Tatsache löste eine neue Welle der Panik aus. Wo befand er sich jetzt?
Das hier war nicht das kirchliche Obdachlosenasyl, in dem er gestern Morgen aufgewacht war.
Er betrachtete die neutralen Möbelstücke und das kitschige Ölgemälde an der Wand. Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Es handelte sich um ein Motelzimmer. Ja, er hatte hier gestern Morgen eingecheckt, nachdem er das Obdachlosenasyl verlassen hatte. Er hatte heftige Kopfschmerzen gehabt und wollte sich nur noch ins Bett fallen lassen, um zu schlafen.
Er hatte bar bezahlt und die Anmeldung mit „M. Man“ unterschrieben.
Die schweren Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen und ließen nur einen schmalen Streifen des Morgenlichts herein. Seine Hände zitterten noch vom Traum. Er schlug die Decke zurück und bemerkte, dass sie nass von seinem Schweiß war. Sein Kopf war immer noch empfindlich, aber zumindest war ihm nicht mehr bei jeder kleinen Bewegung, als müsste er vor Schmerzen schreien.
Er erinnerte sich beinah Wort für Wort an die Unterhaltung mit dem Mann an der Rezeption des Motels. Er erinnerte sich an den Kaffeeduft in der Eingangshalle. Er erinnerte sich an den Namen des Angestellten – Ron –, der auf dem Schild auf dessen Brust stand. Er erinnerte sich, wie endlos lange Ron gebraucht hatte, um den Schlüssel für Zimmer Nummer 246 zu finden. Er erinnerte sich daran, wie er sich die Treppe nach oben geschleppt hatte, immer eine Stufe nach der anderen, getrieben von dem Wissen, dass beruhigende Dunkelheit und ein weiches Bett schon in Reichweite waren.
Er konnte sich auch an den Traum erinnern. Aber er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was dieser Traum zu bedeuten hatte.
Mitch stand auf und stellte fest, dass ihn diese Bewegung nur leicht ins Wanken brachte. Er ging zur Klimaanlage und stellte sie höher. Der Ventilatormotor schaltete sich mit einem lauteren Summen ein, und ein Schwall kühler Luft traf ihn.
Langsam und vorsichtig setzte er sich wieder aufs Bett.
Er konnte sich an das Obdachlosenasyl erinnern. In der Erinnerung sah er Jarells grinsendes Gesicht, hörte seine fröhliche Stimme.
Hey, Mission Man! Hey,
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