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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Eine korrigierende Überprüfung an der heutigen Realität scheitert in der Regel daran, dass der Betreffende sich durch seine Bewältigungsmuster eine Erfahrungswelt schafft, die bestens geeignet ist, das Axiom wieder und wieder zu bestätigen. Durch diese sich selbst erfüllende Prophezeiung macht jeder seine Erfahrungen, so sehr er sie auch zu «erleiden» scheint. Aufdeckende Psychotherapie ist der Versuch, die axiomatischen Urerfahrungen wieder aufzusuchen, den ewigen Bestätigungskreislauf bewusst zu machen und zu unterbrechen.
    Welche prägenden Urerfahrungen mögen es gewesen sein, die das Axiom der eigenen Hilflosigkeit und ewigen Bedürftigkeit begründen? Der Zusammenhang zwischen frühkindlicher Entwicklungsgeschichte und Charakter ist nicht das vorrangige Thema dieses Buches (s. zum Beispiel Riemann, 1969). Dennoch mögen jeweils einige Andeutungen ausreichen, um eine Ahnung solcher Zusammenhänge zu stiften. Manchmal können wir besser miteinander klarkommen, wenn wir unterstellen, dass manche Verhaltensweisen und Gefühle, die der andere mir entgegenbringt (oder mir verweigert), nicht allein mir zugedacht und zugelebt sind, sondern als Nachboten früher Verwicklungen gleichsam nach hinten gerichtet sind und in der Gegenwart die alten Szenarien aufzubauen suchen.
    Der Mangel an Selbstvertrauen, den wir beim Bedürftig-Abhängigen im Falle starker und überdauernder Ausprägung entdecken, mag ursprünglich dadurch entstanden sein, dass das Kleinkind in einer Phase, in der es dazu heranreifte, die Welt ringsum auf eigenen Beinen und mit dosiertem Trennungsrisiko von der Mutter zu erkunden, extrem behindert und entmutigt wurde: «Lass mich das machen, dazu bist du noch zu klein!» – «Bleib hier, sonst machst du dich nur schmutzig – ach, so doch nicht – gib her!» – Solche Sätze, tausendfach wortwörtlich gehört oder in ihrer Substanz vernommen, lassen die eigenen Kräfte unterentwickelt; die Energien der Lebensbewältigung richten sich nun ersatzweise darauf, sich mit starken Menschen zu umgeben, an die man sich anlehnen kann und die für einen sorgen werden, denn so ist man ja auch als Kind über die Runden gekommen.
    Möglich aber auch, dass genau das Gegenteil der Fall war: Dass das Kind nicht zu viel Behütung und Entlastung erfahren hat, sondern vernachlässigt und viel zu früh auf sich alleine gestellt war und sich in grenzenloser Verlassenheit der Welt ausgeliefert sah. Um diesen (längst verdrängten) Urschmerz nie! nie! nie! mehr spüren zu müssen, zieht der Erwachsene alle Register, um sich nun heute den unbegrenzten Beistand zu sichern, den es gestern so entsetzlich hat entbehren müssen.
    Bei diesem wie bei allen anderen Stilen sind es längst nicht nur frühkindliche Grunderfahrungen, die dazu führen, dass bestimmte seelische Strömungen die Oberhand gewinnen. Allerdings sind solche Erstprägungen besonders nachhaltig. Dazu kommen aber vielfältige und manchmal einschneidende Erfahrungen in Jugend und Pubertät, auch noch im Erwachsenenalter und im Berufsleben. Man denke ferner daran, dass das überlieferte Rollenbild die Frau zum «schwachen Geschlecht» gestempelt hat, mit der Folge, dass bei ihr die Herausbildung eines bedürftig-abhängigen Kontaktmusters besonders gern geduldet oder sogar verlangt wird. Wie sagt Noras Ehemann in Ibsens Schauspiel? «Ich müsste ja kein Mann sein, wenn nicht gerade diese weibliche Hilflosigkeit dich für mich besonders anziehend machte …» Solche Idealvorstellungen sind das Ergebnis gesellschaftlicher «Luftströmungen», die man/frau zeitlebens einatmet, nicht nur in den ersten Lebensjahren.
    Kommen wir zurück zur Beschreibung des Kommunikationsstiles. Da trotz der soeben gemachten Aussagen durchaus auch Männer in bedürftig-abhängige Strömungen hineingeraten können, wählen wir das Beispiel eines Dialogs zwischen zwei Freunden:
A: Du B, sag mal, hast du einen Augenblick Zeit?
B: Ja – also, äh, kurz – ich muss nachher noch …
A: Ja, also ganz kurz, bei mir ist mal wieder alles chaotisch. Weil der Heiner mit seiner Freundin zusammenzieht, gibt er die Wohnung auf, und ich muss hier raus, und zwar schon zum Ersten. Also ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich machen soll!
B: Ach du Schreck! Ja, und kannst du die Wohnung nicht übernehmen?
A: Wie denn??
B: Ja, indem du zum Beispiel einfach wohnen bleibst!
A: Mensch, du stellst dir das alles so einfach vor! Ich hab doch gar keinen Mietvertrag, und die Wohnung wäre ja auch zu teuer

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