Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Riemanns vier «Grundformen der Angst» (1969) intellektuell und ästhetisch so überaus befriedigend der Fall ist. Insofern nimmt sich die nachfolgende Liste teilweise etwas additiv, willkürlich und insgesamt vielleicht vorläufig aus. Mir ist jedoch kein theoretisch geschlossenes System bekannt, das alle wichtigen und typischen Kommunikationsphänomene der Praxis beschreiben und erklären würde. So war bei der Auswahl und Festlegung der Zahl Acht ausschlaggebend, dass damit erfasst wird, was mir als Trainer und Kommunikationstherapeut wiederholt begegnet und sich als Ausgangspunkt für persönliche Weiterentwicklung eignet.
Noch ein Wort zu den Namen, die ich für die einzelnen Stile verwende. Da es sich um alltägliche, normal-menschliche Verhaltensweisen und Persönlichkeitsanteile handelt und nicht um pathologische Randerscheinungen, habe ich die Bezeichnungen der Alltagssprache entlehnt, und zwar auch dann, wenn der besprochene Stil in der analytischen Literatur unter anderem Namen aktenkundig ist. Dem psychologischen Laien fällt es auch heute noch schwer, «orale», «anale», «masochistische» oder «hysterische» Charakteranteile als ihm selbstverständlich zugehörig zu akzeptieren – und wahrscheinlich hat er ganz recht mit seiner Weigerung. Solche Kategorien mögen sich als psychiatrische Kürzel auf Fachkongressen eignen – als Einladung zur neugierigen Selbsterfahrung, als Ausgangspunkt für persönliche Entwicklung und für vertieftes zwischenmenschliches Verstehen taugen sie nicht.
1.
Der bedürftig-abhängige Stil
Wer kennt es nicht: das schöne Gefühl, umsorgt und beschützt zu werden, sich von Großen und Starken behütet zu wissen, die einem den richtigen Weg weisen und Acht geben, dass nichts Schlimmes passiert? Erwachsen werden heißt, mehr und mehr für sich selbst einzustehen und die Verantwortung zu übernehmen. Die dabei gewonnene Unabhängigkeit muss bezahlt werden mit einem Verlust an Urgeborgenheit, der uns besonders schmerzlich spürbar wird, wenn das Leben uns beutelt und die Grundfesten unserer Existenz ins Wanken kommen. Auch wenn wir auf eigenen Beinen stehen, bleibt doch ein Teil von jenem alten Bedürfnis erhalten, sich dann und wann an jemanden anzulehnen, der groß und stark ist und bestimmt schon alles in Ordnung bringen wird. Unterschiedlich ist die Stärke dieses Bedürfnisses beim erwachsenen Menschen, unterschiedlich auch, in welchem Maße er es sich zugesteht. Wenn es aber, zeitweise oder chronisch, die Oberhand gewinnt, dann können wir damit rechnen, dass es sich auswirkt auf die Art und Weise, den Kontakt zu anderen Menschen zu gestalten. Der Kommunikationsstil muss hier ersetzen, was das Baby an natürlichem Appeal hat, durch den es automatisch den Hilfs- und Pflegeinstinkt von Personen in seiner Umgebung auslöst.
1.1
Erscheinungsbild, Grundbotschaft und seelischer Hintergrund
Wir beschreiben also als Erstes einen Kommunikationsstil, der darauf abzielt, sich selbst als hilflos oder überfordert darzustellen und dem anderen das Gefühl zu geben, er müsse einspringen, helfen, entscheiden und verantworten – sonst wäre alles verloren.
Abb. 9:
Grundpose des bedürftig-abhängigen Stils [10]
Diese «Botschaft» geht vom Bedürftig-Abhängigen oft nonverbal aus – schon wie er einen anschaut, kann einem das Herz erweichen. In anderen Fällen werden die Bitten durchaus deutlich und können sich zu dringenden Forderungen steigern: «Das kannst du jetzt aber mal wirklich für mich tun! Du siehst doch, wie mir alles über den Kopf wächst! Kannst du denn nicht wenigstens einen Tag Urlaub nehmen, damit ich zumindest Montag noch mit dir rechnen kann? …»
Wir können annehmen, dass Menschen, die einen solchen Stil als bevorzugtes Kontaktmuster entwickelt haben, in ihrer früheren Kindheit bestimmten Urerfahrungen ausgesetzt waren, aus denen sie unbewusst eine psychologische Schlussfolgerung für ihr weiteres Leben gezogen haben:
Seelisches Axiom:
«Ich bin schwach und hilflos –
allein bin ich dem Leben nicht gewachsen!»
Ich bezeichne solche frühkindlich eingefleischten Urbotschaften als seelische «Axiome», da sie im Erwachsenenalter nicht mehr überprüft werden. Sie werden nicht einmal in Sprache gefasst, so wie das hier hilfsweise geschehen ist, um dieses Selbstgefühl irgendwie zu beschreiben. Stattdessen «stecken sie in einem drin», und alle weiteren Strategien und Bewältigungsmuster gehen von diesen Axiomen aus, sind daraus abgeleitet.
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