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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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heimliches Interesse, sich zu einem Engagement verführen zu lassen? Liegt vielleicht sogar ein gegenseitiges Verführungssystem vor? Mit solchen Fragen betreten wir «systemisches» Gelände.
    1.2
    Der systemische Blickwinkel
    Bisher haben wir den individualpsychologischen Standpunkt eingenommen und so getan, als würde der bevorzugte Kommunikationsstil eines Menschen als Resultat seiner persönlichen Entwicklungsgeschichte zutage treten und somit eine Angelegenheit des Charakters sein. Dies trifft zu, enthält aber längst noch nicht die ganze Wahrheit. Wir haben weiterhin ins Auge zu fassen, dass jedes Kontaktmuster erst im wechselseitigen Zusammenspiel zweier oder mehrerer Personen zur vollen Entfaltung kommen kann, also eines oder mehrerer «Mitspieler» bedarf, welche durch ihre Art der Beziehungsgestaltung das in Rede stehende Verhalten nahelegen oder zumindest ermöglichen. Ein bedürftig-abhängiger Stil findet dann seine Erklärung nicht (nur) in der Vergangenheit des Einzelnen, sondern (auch) in der gegenwärtigen Beziehungsdynamik eines Paares, einer Familie oder Gruppe. Jede Nora hat ihren Helmer.

    Typischerweise findet sich der Bedürftig-Abhängige in zwei verschiedene Teufelskreise verstrickt, je nachdem ob der Partner eher fürsorglich oder eher verweigernd eingestellt ist.
    Beginnen wir mit dem ersten Fall.
    Zwei Menschen wie du und ich, beide stark und schwach zugleich, aber mit unterschiedlicher Angstverteilung im Hinblick auf diese beiden Seiten, begegnen einander und ziehen sich «irgendwie» an, wie die Pole zweier Magneten. Der eine zeigt die Stärke als kontaktzugewandte Seite, seine Schwäche bleibt im Hintergrund. Der andere bringt die Schwäche, Bedürftigkeit und Abhängigkeit in den Kontakt ein – seine Stärke bleibt kontaktabgewandt.

    Abb. 11:
    Zusammentreffen der «passenden» kontaktzugewandten Seiten
    Das passt gut zueinander, beide erliegen gerne den Verführungen des anderen, schnappen begierig nach den Ködern, die der Partner auswirft – und provozieren damit ihrerseits wieder dieselbe «Strömung» beim anderen. Das folgende Schaubild illustriert einen Kreislauf, wie wir ihm schon im Musterdialog (S.73) exemplarisch begegnet sind:

    Für den Bedürftig-Abhängigen besteht der vordergründige Vorteil dieses Kreislaufes darin, dass er sich seine Angst vor Eigenständigkeit vorübergehend vom Leibe halten kann. Dass auch der starke Helfer seinen seelischen Vorteil aus dieser Konstellation zieht, werden wir im nächsten Kapitel genauer entwickeln. Auf jeden Fall scheinen sich die beiden «gesucht und gefunden» zu haben, alles scheint zufriedenstellend. Dennoch wird aus dem Kreislauf in der Regel ein Teufelskreis. Warum? Zum einen verewigt er die Entwicklungsrückstände beider Beteiligten, indem er jeweils nur die ohnehin gut entwickelten Seiten zulässt. Dies könnte man vielleicht in Kauf nehmen, nach dem Motto: «Entwicklung ist ja ganz schön, aber ein bisschen Stabilität ist auch nicht zu verachten!» Aber leider hat der Kreislauf zusätzliche Tücken. Für den Bedürftig-Abhängigen enthält jeder «erfolgreich» verlaufene Kontakt stets auch eine erneute Kränkung seines Selbstwertgefühles – und die latente Wut über die eigene Angewiesenheit trifft dann jenen, der diese schmerzhafte Ich-Schwäche immer wieder spiegelt, richtet sich also paradoxerweise gegen den, dem man am meisten zu «verdanken» hat. Und auch der starke Helfer kriegt es noch mit ganz anderen Gefühlen zu tun als Mitleid und Überlegenheit. Im Zusammenhang mit dem seelischen Hintergrund des Helfers kommen wir auf den hier entstehenden Teufelskreis noch einmal zurück und werden ihn dann um einige Komponenten erweitern.

    Ein ganz anderer Teufelskreis entsteht, wenn der Partner sich deutlich abgrenzt und den Bedürftig-Abhängigen «kurz hält»: Dieser fühlt sich elend alleingelassen und verstärkt daraufhin seine Anstrengungen, dem anderen doch noch etwas an Fürsorglichkeit und Unterstützung abzuringen. Diese verstärkten Anstrengungen sind es gerade, die in dem Partner die Angst erhöhen, «ausgesaugt» zu werden (s. Kap. 7: Der sich distanzierende Stil). Aus dem sicheren Gefühl heraus, dass der Bedürftig-Abhängige einem Fass ohne Boden gleiche und sogleich gierig die ganze Hand an sich reißen werde, wenn man ihm nur den kleinen Finger reiche – aus diesem Gefühl heraus verweigert der sich Distanzierende nun auch den kleinsten Finger, was die Bedürftigkeit des Partners ins

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