Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Gegenteil: Alles ist in jedem; nahezu jeder Leser wird sich in nahezu jedem Stil ein wenig «wiederfinden» in dem Sinne, dass er dieses Muster der Kontaktgestaltung samt dem inneren Zumutesein von sich selbst in manchen Situationen und bei manchen Beziehungspartnern kennt. – Manchmal erst auf den zweiten Blick: Immer wieder reagieren meine Hörer und Kursteilnehmer, indem sie etwa sagen: «Bei dem und dem Stil, den ich durchaus von anderen kenne, dachte ich zunächst: Damit habe ich überhaupt nichts zu tun! Und erst später habe ich mich ‹ertappt› und gemerkt: So bin ich auch, aber viel weniger bewusst!»
Die verschiedenen Strömungen, die hier in didaktischer Reinkultur vorgestellt werden, schließen sich auch in ein und demselben Augenblick nicht aus – im Gegenteil, in der Regel fließen zwei oder mehr Strömungen zusammen und ergeben ein für die Person bzw. die Situation charakteristisches Gemisch. Solche Ambivalenzen [8] sind ein seelischer Regelfall, kein Ausnahmefall. So mag jemand seinen Kollegen um Rat und Hilfe bitten und dabei in einer bedürftig-abhängigen Stimmung sein («O je, wie macht man das bloß – ich werde es nie schaffen, du bist meine einzige Rettung!») –, gleichzeitig aber auch von einer verächtlichen «Unterströmung» erfasst sein («Was willst du mir schon groß beibringen – ausgerechnet du! All deine weisen Ratschläge taugen doch zu nichts!») Logisch ist diese Kombination nicht, psycho-logisch ist sie allemal: Den Kollegen wird dieses Strömungsgemisch atmosphärisch erreichen und zumindest unterschwellig irritieren.
Andere Strömungen wiederum passen gut zueinander und ergeben ein eindeutiges Gemisch. So verbinden sich der entwertende (Kap. 4) und der bestimmende Stil (Kap. 6) «gern» zum gut bekannten «autoritären Verhalten» («Nun machen Sie das endlich so, wie ich Ihnen sage, herrje nochmal, das muss doch auch in Ihren kleinen Kopf reingehen!»).
Zwar haben wir gesagt: Alles steckt in jedem, jede Strömung ist in jedem Menschen angelegt und auslösbar. Dennoch gilt, dass bei bestimmten Menschen diese oder jene Strömung ein besonders breites oder tiefes Flussbett hat und so der Persönlichkeit ein bestimmtes Gepräge gibt. Jeder hat bevorzugte Muster der Kontaktgestaltung, einhergehend mit bestimmten Vermeidungsmustern, die ihren lebensgeschichtlichen Hintergrund haben. In diesem, aber auch wirklich nur in diesem Sinne werde ich idealtypisch etwa vom «selbst-losen» oder vom «kontrollierenden Menschen» sprechen, als sprachliche Kurzformel für einen Menschen, der von dieser Strömung (neben manchen anderen) auffällig häufig und heftig erfasst wird, sodass sie eines seiner typischen Kontaktmuster darstellt und dabei ganz bestimmte Vermeidungen und Einschränkungen enthält, deren Überwindung für ihn heilsam und förderlich wäre .
Die nachfolgenden acht Kommunikationsstile sind in ihrem aktuellen Aspekt (der akuten seelischen Strömung) mit einigen «Ich-Zuständen» der Transaktionalen Analyse (zum Beispiel Berne, 1967) vergleichbar. In ihrem habituellen Aspekt (des Charakters) berühren sie sich mit solchen Persönlichkeitstheorien, denen für zwischenmenschliche Beziehungen besondere Bedeutung zukommt. Diese Berührung ist zunächst locker, denn ähnlich wie V. Satir (1975, s. auch Bosch, 1977) gehe ich vom kommunikativen Phänotypus aus, also von dem, was im alltäglichen Erleben sichtbar und spürbar ist – eine hypothetische Verbindungslinie zu bestimmten entwicklungsgeschichtlichen «Genotypen» ist aber häufig naheliegend. So wird der kundige Leser immer wieder Anklänge an bekannte Persönlichkeitstheorien finden. Hierbei handelt es sich neben der Charakterologie Adlers (Ansbacher und Ansbacher, 1972) um psychoanalytische Persönlichkeitstheorien in der Ausformulierung von Riemann (1969, s. auch Thomann und Schulz von Thun, 1988) und von Reich (1970, s. auch Lowen, 1983 und Kurtz, 1985). Die systemischen Teile sind durch das Kollusionskonzept von Willi (1975) inspiriert. – Daraus ergeben sich die Wegbereiter der vorgelegten differenziellen Kommunikationspsychologie zu folgender Zusammenschau:
Abb. 8:
Wegbereiter der differenziellen Kommunikationspsychologie
Der hier zutage tretende theoretische Eklektizismus [9] mag als nachteilig angesehen werden. Tatsächlich verdankt die Zahl Acht der nachfolgenden Stile bzw. Persönlichkeitsanteile ihre Existenz nicht einem geschlossenen theoretischen System – wie das zum Beispiel bei Fritz
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