Mitte der Welt
habe es verboten. Und als ich dazu weiter schwieg, sagte sie entschieden: Aber du, du bist ganz anders!
Nun wusste ich Bescheid, was sie sehen will und was nicht. Und so sprechen wir jede Woche, wenn wir zusammensitzen und Tee trinken, über die Freuden und Leiden mit Kindern, Küche und kocam , dem Ehemann. Und jedes Mal, wenn ich ihr zum dritten Mal Tee und Gebäck anbiete, sagt sie, dass sie nicht so viel essen dürfe, sie werde dick und dicker. Wenn du wüsstest, wie hübsch und schlank ich früher war!
Du gefällst mir, so wie du bist!, sage ich dann und finde immer wieder erstaunlich, mit welcher Entschiedenheit sie abwehrt, unverführbar, trotz meines an Nötigung grenzenden Aufdrängens, was, wie ich weiß, zum Ritual gehört; aber später dann, wenn sie gegangen ist, sehe ich, dass sie in der Küche, während sie das Geschirr wusch, offenbar doch weitergenascht hat. Insistiere ich nicht genug? Oder vielleicht packt sie es ein für ihre Kinder, Marzipan und Schokolade aus Deutschland.
Seit neun Jahren lebt Hatice in Istanbul. Zusammen mit ihrem Mann kam sie, jungverheiratet damals, vom Schwarzen Meer, um hier Arbeit zu finden.
Aber, sagt sie, Arbeit finden hier ist sehr, sehr schwer, besonders für uns, die wir vom Dorf kommen. Im Dorf ist das Leben viel besser, die Luft ist gut und das Wasser auch, und im Garten wächst alles, was du willst – fast alle türkischen Gemüse- und Obstnamen habe ich von Hatice während unserer Teepausen gelernt –; in der Stadt gibt es nur Lärm und Gestank, die Kinder können zum Spielen nicht raus, viel zu gefährlich auf der Straße, und in die Wohnung scheint nie die Sonne herein, das ganze Jahr nicht.
Ihr Unverständnis dann, dass ich nach Istanbul gekommen bin, in diese schmutzige, stinkende Stadt; Deutschland sei doch viel schöner, und erst die Schweiz! Ihrem Bruder, der in Wettingen bei Zürich lebe, verheiratet mit einer Schweizerin, dem gehe es gut, sagt sie dann und schaut mich an mit ihren Augen so blau und rein. Die haben dort wirklich alles!
Manchmal, wenn mir die Glorifizierung des verlorenen Paradieses zu weit geht, frage ich, warum sie von dort, wo alles besser sei, wegging.
Um der Kinder willen, weil es im Dorf keine Zukunft gibt, und Arbeit schon gar nicht, und auch die Schule ist schlecht dort, sagt sie dann und seufzt.
Ihr Seufzen immer mal zwischendurch, wenn sie erzählt oder wenn sie die Treppe hochkommt und zur Tür herein und sich ihre Schuhe von den Füßen schüttelt und sagt, wie heiß es doch heute wieder sei oder wie kühl oder regnerisch oder nass oder schwül, ein Seufzen, mit dem sie hinnimmt, wie’s nun mal ist, das Leben. Sie nimmt es an; mit ihrem Seufzen kann sie es.
Einmal sagte sie und seufzte: Ömer ist ein guter Mann, er schlägt mich nicht und geht nicht ins Männercafé spielen.
Ob sie ihren Ömer liebt? Nein, Liebe ist kein Thema zwischen Hatice und mir; über die Liebe zu Männern sprechen wir nie, nur über die zu den Kindern.
Aber von der Technik des Umgangs mit dem Ehemann erzählt sie. Wie sie’s hält mit ihrem, wie sie ihn hinhält und herholt, wie sie ihm schmeichelt und wie ihn kommandiert. Auch dass und wie sie verhütet. Zwei Kinder in der Stadt sind genug, Allah hin oder her, mehr kann er von uns nicht verlangen! Ömers Lohn als Hauswart und Pförtner in einer Schule ist so schlecht, dass eine Familie davon nicht leben kann. Immer hinkt der Ausgleich ein Jahr hinter der Inflation her, und wie die rennt, weißt du ja!
Wenn Hatice über die ständig steigenden Preise klagt – allein was die Kinder brauchen! – und mir vorrechnet, was alles sie noch besorgen muss – ohne anständige Schuhe können die Kinder doch nicht zur Schule gehen! –, und mich dabei anschaut mit ihren blauen Augen – auch sie müsse doch ihren Kindern manchmal etwas kaufen können, etwas Hübsches oder auch nur etwas Süßes, was andere Kinder doch täglich hätten –, dann verstehe ich, dass sie mich in ihrer Art darauf hinweist, dass auch ich wieder der galoppierenden Inflation hinterher soll.
Du musst von dir aus erhöhen, sagte mir eine Freundin, die mich mütterlich besorgt einführt in die Gepflogenheiten hierzulande. Hatice wird niemals von sich aus darum bitten. Wenn sie es aber doch tut, ist es zu spät, und sie wird dich nicht mehr achten, weil du sie nicht zu achten scheinst in ihrem berechtigten Anspruch. Du musst heraushören, wann es an der Zeit ist. Andererseits, wenn du zu viel erhöhst, machst du die hiesigen
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