Mitte der Welt
vonstattengeht.
Der eine Polizist flüstert der Bordhostess an der Flugzeugtür etwas ins Ohr, worauf sie wortlos nickt; das professionelle Lächeln fällt ihr nicht für eine Sekunde aus dem hübsch geschminkten Gesicht. Aber der Blick des jungen Mannes im Hawaii-Hemd, als sie ihm sagt, er solle sich in die letzte Reihe setzen, bleibt an ihren üppigen, dunkelrot glänzenden Lippen kleben – weil wieder Türkisch mit ihm gesprochen wird?
Als er das Flugzeug betritt, schaut ihm einer der Polizisten gelangweilt hinterher, bis er sitzt, während sein Kollege bei der Hübschgeschminkten einen Scherz zu landen versucht; dann ziehen sie ab, die Sache ist für sie erledigt.
Der junge Mann ist ein freier Mann, seit er im Flugzeug sitzt, schon seit gut zweieinhalb Stunden. Wie aber hatte er es geschafft, über den hohen EU-Schutzwall nach Deutschland zu gelangen? Ich gehe zwischen den Sitzreihen nach hinten, sehr langsam, um ihn mir anzuschauen; seinen Gesichtsausdruck möchte ich sehen, jetzt, da es nicht mehr weit ist bis Istanbul, und ob tatsächlich kein Grund zur Sorge ist. So wie er die Broschüre anschaut mit den Instruktionen, was zu tun wäre im Fall von Notlandung und Notausstieg, kindlich staunend, es scheint, dass er wohl tatsächlich zum ersten Mal fliegt.
Vor Jahren, unterwegs im Bus zwischen Urfa und Euphrat, jener junge Mann mit offenem, gewitztem Gesicht, der sagte, er habe Deutschland sehen wollen, das Land, von dem sie alle immerzu redeten, ob wahr sei, was sie erzählten. Darum sei er hin. Und habe selbst gesehen, dass alles sehr, sehr schön sei in Deutschland. Und in der Schweiz auch, ja, auch dort sei er gewesen.
Auf die Frage, wie er denn hingekommen sei: Ich weiß, ich kann nicht nach Europa, weil ich Türke, aber ich kann Asyl, weil ich Kurde! Einer, der auf dieser Strecke oft mit dem Lastwagen unterwegs war, habe ihn mitgenommen, bis kurz vor die Grenze; dort sei er raus und zu Fuß rüber. Beim ersten Mal hätten sie ihn geschnappt und sofort zurückgeschickt. Macht nix, ich wieder hin, zweite Mal ich habe Glück. Dann ich Asyl und Asylantenheim. Von Asylantenheim ich abgehauen, zu Freund. In Döner-Geschäft von Freund ich Arbeit, zwei Jahre, viel Geld. Und, blinzelte er meinem Reisebegleiter zu, viel hübsche Mädchen.
Als die Asyl-Ablehnung kam, kurz bevor er abgeschoben werden sollte, sei er selbst gegangen; über die Grenze, zu Fuß; ja, in die Schweiz – als freier Mann! Sein stolzes Lachen, als er es sagte.
In Bern habe er bei Schwester und Schwager gewohnt und in der Auto-Werkstatt eines Freundes vom Schwager gearbeitet; und, wieder mit verschmitztem Lächeln zu meinem Reisebegleiter: Ich kenne ganz, ganz nette Mädchen dort, mit gute Herz, ich will heiraten diese Mädchen.
Ja, Schweizerin sei sie, aber ihre Familie habe Probleme gemacht und der Staat auch.
Ob er darum zurück sei in die Türkei.
Er schaute durchs Busfenster hinaus in die vorbeiziehende Landschaft und schwieg, dann, nach einer Weile, schaute er mich an, legte eine Hand auf seine Brust und sagte: Drei Jahre ist sehr, sehr lange Zeit, meine Vater Mutter Geschwister, ich muss zurück, mein Herz wollte so!
Und das Mädchen in Bern?
Vielleicht wir heiraten nächste Mal, wenn sie kommt nach Türkei.
Und abschließend sagte er, der sich die Freiheit nahm, in der Welt sich umzuschauen, worauf er, wie ich finde, ein Recht hat, schon auf Grund seiner Jugend: Diese Land ist meine Land, ich liebe meine Land, hier ich will leben!
Ja, sagte ich, auch ich liebe dieses Land hier am Euphrat, und manchmal sogar träume ich davon!
Sein fragender Blick: Was suchst du in diesem Land voller Staub und Hitze und blendender Helle!
Später dann zeigte er hinaus. Dort hinter jenen Hügeln seien die Pistaziengärten seines Vaters und nicht weit davon das Haus seiner Familie, umgeben von einem Obstgarten; alles wachse dort, Feigen, Pflaumen, Aprikosen, Maulbeeren, und gutes Wasser gebe es auch, alles, was du willst. Und dann kam, wie es natürlich kommen musste, die Einladung zu ihm nach Hause. Was wir, mein Reisebegleiter und ich, natürlich ablehnten. Was der junge Mann natürlich nicht gelten ließ. So dass wir schließlich mitgingen.
Er zeigte uns Haus und Hof und Garten und das Dorf und ringsum das Land voller Pistazienbäume hügelauf und hügelab und stellte uns seinen Eltern vor und seinen Geschwistern. Und abends, als wir auf dem Dach saßen und aßen und redeten und lachten bis spät in die Nacht, schien mir, dass ich
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