Mitte der Welt
seine Erfahrung, er möge beurteilen, welche um diese Uhrzeit am wenigsten verstopft sei.
Er dankt für mein Vertrauen. Es zeige ihm, nicht alle Ausländischen seien gleich, auch wenn er oft erlebe, dass Nichthiesige, vor allem die aus Europa, meinten, sie wüssten alles besser. Sogar auf Istanbuls Straßen! Und als er noch einmal zu mir nach hinten schaut, schenkt er mir ein fast brüderliches Lächeln. Auf mich können Sie sich verlassen, ich werde Sie sicher und schnell zum Flughafen bringen!
Mein Taxifahrer fährt nicht tranig oder hektisch, wie sonst fast immer auf Istanbuls Straßen die Taxifahrer fahren. Und was er erzählt, nachdem er nun auch noch mein Türkisch gelobt hat – na ja, wer tut das nicht in diesem freundlichen Land; trotzdem freut mich das Lob! –, ist weder doppeldeutig noch anmaßend, sondern schlicht, wie es war, als er mit seiner Familie nach Istanbul kam, und wie weit sie es bis heute gebracht haben.
Und als wir auf einer der neuen Schnellstraßen an Hügeln voller Hütten- und Häusergewurstel vorbeifahren: Schauen Sie, dort gibt es nichts, keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine festen Straßen, absolut nichts!
Ich gestehe, dass ich noch nie in einem dieser Vororte war, und wie es sich dort lebt, kann ich mir kaum vorstellen. Er jedoch weiß Bescheid. Und während er mir vom Leben dort erzählt, nicke ich immer wieder bestätigend, obwohl ich nicht alles verstehe, sage mal: Ja!, und mal: Ach so! Und noch einmal kommt er auf den neuen Oberbürgermeister zu sprechen und zählt auf, welche Wohltaten er über die Stadt zu bringen versprochen habe und wie viel besser alles sein werde, menschenwürdig und gottgefällig; und in seiner Stimme klingt neben Triumph echte Überzeugung mit. Und auf sein abschließendes: Da er nun endlich doch an die Macht gekommen ist!, fällt mir nichts zu sagen ein. Er, denke ich, der nun an der Macht ist, wir werden ja sehen, was er wirklich kann; wirst schon sehen, überall wird nur mit Wasser gekocht , auch er wird nichts anderes können! Wunder nähme mich nur, ob dieses Wasser-Wort auch im Türkischen möglich ist, frage aber nicht, sondern schaue hinaus in die vorbeiziehende Stadtlandschaft. Und gebe, sicher und pünktlich am Flughafen angekommen, reichlich Trinkgeld. Wofür der Taxifahrer sich mit offenem Blick und klarem Gute Reise! bedankt.
Aus schlechtem Gewissen gab ich ihm so viel, ich weiß; oder vielleicht ja nur, weil er mein Türkisch gelobt und mir den schönen Titel verliehen hat.
DIE FEE VOM SCHWARZEN MEER
Warum erzählst du so etwas?, fragt Hatice empört.
Du meinst vom Taxifahrer?
Ja, damit schmierst du doch Butter aufs Brot von Erdoğans Partei!
Butter aufs Brot, der Ausdruck gefällt mir, sage ich, sehe aber, Hatice versucht, die ihr übers Gesicht flammende Empörung zu verbergen, indem sie das Kopftuch abnimmt, sich die Haare aus dem Gesicht streicht und es neu bindet unter ihrem dicken, braunen Zopf.
Jede Woche, wenn Hatice bei mir ist, um meine Wohnung zu putzen, sage ich gegen elf: Hatice meine Fee, jetzt trinken wir Tee!
Und jedes Mal sagt sie, zum Putzen sei sie gekommen, nicht zum Teetrinken.
Pause muss sein, Hatice, deine Arbeit ist schwer, und erst recht heute, bei der Hitze!
Aber, sagt sie dann, dass du, meine Patronin, mit mir sitzt und Tee trinkst – keine der Damen, bei denen ich geputzt habe, schon gar nicht die türkischen, hätte das je getan.
Komm, sage ich und lache ihr zu und mache jedes Mal wieder denselben Scherz: Sogar in deiner Pause benutze ich dich noch zum Türkischsprechen mit mir!
Dann lacht auch sie.
Ich verstehe nicht, dass wir dieses Ritual immer wieder durchspielen müssen. Und sie versteht nicht, obwohl sie oft über ihr Ehefrauen- und Mutterjoch stöhnt, dass ich allein hier lebe, ohne Mann und Kinder. Dass ich auch in Deutschland von dem Mann, der Vater meiner Kinder ist, getrennt bin, sage ich ihr nicht. Später vielleicht werde ich es ihr sagen, wenn ich sicher bin, dass sie mich nicht mehr nur als Europäerin sieht.
Einmal erzählte Hatice, dass sie bei einer Französin geputzt habe, von der sie nicht wisse, was die in Istanbul mache. Dabei schaute sie mich an, nahm einen mit zuckersüßem Mandelmus gefüllten Blätterteigkringel, trank einen Schluck Tee hinterher und sagte dann: Aber Männerbesuch hatte sie! Als ich auf dieses Stichwort nicht reagierte, schüttelte Hatice den Kopf, schnalzte mit der Zunge: Eine schlechte Frau! Zu der gehe sie nicht mehr hin. Ömer, ihr Mann,
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