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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Hoffnung, einen Hinweis auf die eigene Bestimmung zu erlangen. Er wußte nur, daß er nicht wichtig genug gewesen war, um mitgenommen zu werden. Er lernte, sich nichts daraus zu machen, daß er uninteressant war, daß seine Eltern ihn auf einer Türschwelle abgesetzt und sich nie die Mühe gemacht hatten, zu schreiben oder anzurufen. »Ich meine, was war mein Dad, Ingenieur oder Computerfritze oder sonstwas? «
    »Na ja, deine Mutter hat Krawatten bemalt. Du kennst doch die mit dem Untergang der Titanic drauf, oder? Die ist von ihr. Ich würde sagen, daß das mein wertvollster Besitz ist. Irgendwann wird sie dir gehören, Bob. Was deinen Dad betrifft, ist es etwas schwierig zu sagen. Er hat immer Tests gemacht, um rauszukriegen, was er mit seinem Leben anfangen sollte – Eignungstests. Versteh mich nicht falsch. Er war ein netter Kerl, ein wirklich netter Kerl, aber ein bißchen ziellos.
    Er konnte sich nie richtig für eine Sache entscheiden. Er hat mehr als hundert Jobs gehabt, bevor sie nach Alaska gingen. Und dort muß etwas mit ihnen passiert sein, was sie nicht ändern konnten, davon bin ich überzeugt. Was, wissen wir nicht. Ich habe ein Vermögen für Anrufe ausgegeben. Dein Onkel Xylo ist für zwei Monate hingefahren, aber er hat überhaupt nichts rausgebracht bis auf den Namen des Piloten. Hat Annoncen in die Zeitung gesetzt. Niemand konnte uns was sagen, weder der Polizei noch der Familie, kein Mensch in Alaska hat offenbar je von ihnen gehört. Tja, das war Pech, daß deine Leute verschwunden sind und du um die Chance gekommen bist, in Alaska aufzuwachsen – und statt dessen von einem verrückten Onkel mit einem Ramschladen großgezogen wurdest. « Er bog den Rücken und verdrehte den Kopf, zwirbelte einen losen Faden an der Manschette seines Strickhemds. »Ich glaube, das einzige, was ich dir ans Herz legen möchte, Bob, ist ein gewisses Verantwortungsgefühl. Viola hat das nie besessen und Adam ganz sicher nicht. Wenn du eine Sache anfängst, dann bring sie verdammt noch mal auch zu Ende. Sieh zu, daß dein Wort etwas gilt. Es hat mir schier das Herz gebrochen zu sehen, wie du jeden Tag zum Briefkasten gelaufen bist in der Hoffnung auf einen Brief aus Alaska. Adam und Viola waren nicht unbedingt das, was ich verantwortungsbewußte Leute nennen würde.«
    »In gewisser Hinsicht hatte ich Glück«, sagte Bob. Das Glück war Onkel Tam. Er las Bob jeden Abend Geschichten vor, fragte ihn nach seiner Meinung zum Wetter, zum Garungsgrad von gekochtem Mais, durchwühlte den Schrott des Ramschladens nach Dingen, die ihn interessieren konnten. Bob Dollar konnte sich nicht vorstellen, wie sein Leben im Haushalt von Onkel Xylo verlaufen wäre, dessen Frau Siobhan leidenschaftliche Holzschuhtänzerin war und in ihrem Wohnzimmer in Pickens, Nebraska, dem Astrologiegewerbe nachging. Über der Eingangstür hatte sie ein Neonschildmit einer winkenden Hand unter den Worten O KKULTES M EDIUM .
    »War sicher nicht leicht, ein fremdes Kind aufzuziehen«, murmelte er. Die Gutenachtgeschichten hatten ihn an Onkel Tam und an das Geschichtenerzählen geschmiedet. Vom ersten Abend an, als Onkel Tam in der kleinen Wohnung eine Seite umblätterte und sagte: »Erster Teil: Der alte Freibeuter«, war Bob erzählten Geschichten verfallen. Er schlüpfte in Phantasiewelten, passiv, ganz Ohr, weitgeöffneten Mundes, begierig jeder sich entfaltenden Geschichte lauschend.
    »Ach, du warst ein pflegeleichtes Kind. Bis auf die Mahngebühren der Bücherei. Du warst immer brav, du hast immer mitgearbeitet und geholfen. Ich mußte mir nie Sorgen machen, weder wegen Anrufen von der Poliei noch wegen Drogen, geklauten Autos oder Supermarktüberfällen. Das einzige Mal, daß du mir Sorgen gemacht hast, das war, als du dich mit diesem fetten Burschen abgegeben hast, mit diesem Freak Orlando. Der war nichts für dich. Wundert mich nicht, daß sie ihn eingelocht haben. Ich bin froh, daß du nicht mit ihm dort gelandet bist.«
    »Es war ja kein Raubüberfall oder so. Er war nur ein harmloser Computer-Hacker.«
    »Ach ja? Wenn du mir erzählen willst, daß jemand, der alle Gelder des Colorado U. S. Forest Service auf das Konto eines Puffs in Nevada transferiert, nur ein harmloser Computer- Hacker ist, dann danke ich bestens.« Er streckte sich und zwirbelte an seiner Manschette, sah auf die Uhr. »Fast elf. Ich muß wieder in den Laden.«
    In den ersten Jahren kam Bob sich oft wie fragmentiert vor, wie in lauter Teilchen zersplittert, die sich nicht

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