Mitten in der Nacht
ihm gesagt, dass ich vielleicht gegen Mitternacht vorbeikomme, wenn ich weg kann.«
»Du solltest diesen Jungen dazu bringen, dass er dich heiratet, chère.«
»Oh, das werde ich. Also wenn du nichts dagegen hast, Abby, laufe ich für ein, zwei Stunden runter.«
»Ich habe nichts dagegen, aber gib Acht, dass du dir bis auf ein paar Flusskrebse nichts einfängst. Ja nichts anderes«, fügte sie hinzu, als sie sich alles zurechtlegte, was sie zum Wechseln der schmutzigen Windel von Marie Rose brauchte.
»Mach dir keine Sorgen. Ich bin vor zwei Uhr wieder zurück.« Sie stand schon in der Verbindungstüre, als sie sich noch einmal umdrehte. »Abby? Ist dir, als wir Kinder waren, je der Gedanke gekommen, du könntest eines Tages Herrin dieses Hauses sein?«
»Ich bin keine Herrin hier.« Sie kitzelte das Baby an den Zehen und brachte Marie Rose zum Glucksen. »Und diejenige, die es ist, wird wahrscheinlich schon aus Trotz hundertzehn Jahre alt werden, damit ich es ja nicht werden kann.«
»Wenn das eine schafft, dann sie. Aber eines Tages wirst du es sein. Du bist ein Glückskind, Abby, und es sieht wirklich gut für dich aus.«
Allein mit dem Baby, streichelte und koste Abby es. Sie puderte und pflegte es und wickelte es ordentlich. Als Marie Rose mit trockener Windel und frischem Nachthemd versorgt war, machte Abby es sich in einem Schaukelstuhl bequem und entblößte ihre Brust für diesen winzigen, hungrigen Mund. Bei den ersten gierigen Zügen, auf die ein Ziehen in ihrem Schoß antwortete, entfuhr ihr ein Seufzer. Ja, sie war ein Glückskind. Weil Lucian Manet, der Erbe von Manet Hall, der strahlende Märchenprinz, ein Auge auf sie geworfen hatte. Und sie liebte.
Sie neigte den Kopf, um das Baby trinken zu sehen. Marie Roses Augen standen weit offen und waren auf das Gesicht ihrer Mutter gerichtet. Zwischen ihren Brauen kräuselte sich die Haut vor Anstrengung.
Ach, sie hoffte so sehr, diese Augen würden blau bleiben wie die von Lucian. Das Haar des Babys war dunkel wie das ihre. Dunkel und lockig, aber seine Haut war weiß wie Milch – wieder ganz wie die seines Papas und nicht dunkel wie der matte Goldton seiner Cajunmama.
Sie würde von beiden das Beste haben, überlegte Abby. Das Beste von allem.
Es war nicht allein das Geld, das große Haus, der gesellschaftliche Status, obwohl sie sich auch dies jetzt für ihr Kind wünschte, nachdem sie es selbst gekostet hatte. Vielmehr ging es um die Akzeptanz, die Erfahrung, das Wissen, an einen solchen Ort zu gehören. Ihre Tochter und alle Kinder, die nach ihr kamen, würden lesen und schreiben, würden mit angenehmer Stimme richtiges Englisch und Französisch sprechen.
Keiner würde je auf sie herabsehen.
»Du wirst eine Dame sein«, murmelte Abigail und streichelte die Wange des Babys, während Marie Roses Hand ihre Brust knetete, als wolle sie den Milchfluss beschleunigen. »Eine gebildete Dame mit der Gutmütigkeit deines Vaters und der Vernunft deiner Mutter. Morgen wird Papa wieder zu Hause sein. Es ist der allerletzte Tag eines ganzen Jahrhunderts, und du hast das ganze Leben vor dir.«
Sie sprach mit leiser Stimme, einem Singsang, der sie beide einlullte.
»Es ist so aufregend, Rosie, meine Rosie. Morgen Abend werden wir einen großen Ball geben. Ich habe ein neues Kleid. Es ist blau wie deine Augen. Wie die Augen deines Papas. Hab ich dir schon erzählt, dass ich mich als Erstes in seine Augen verliebt habe? So schöne Augen. So freundlich. Als er von der Universität nach Manet Hall zurückkehrte, sah er aus wie ein Prinz, der in sein Schloss heimkehrt. Ach, was hatte ich für Herzklopfen.«
Sie lehnte sich zurück und schaukelte im flackernden Kerzenlicht.
Sie dachte an die Neujahrsfeier des nächsten Abends, an das Tanzen mit Lucian und das im Walzertakt rauschende, schwingende Kleid.
Er würde stolz auf sie sein.
Sie erinnerte sich an ihren ersten gemeinsamen Walzer.
Damals im Frühling, als schwerer Blütenduft die Luft erfüllte und das Haus wie ein Palast erstrahlte. Sie hatte sich von ihrer Arbeit davongestohlen und in den Garten geschlichen, weil sie unbedingt sehen wollte, wie das strahlend weiße Herrenhaus sich mit seinen Balustraden wie schwarze Spitze und den flammenden Fenstern vom Sternenhimmel abhob. Aus diesen Fenstern und aus den Türen auf der Galerie, auf welche die Gäste sich begeben hatten, um Luft zu schnappen, war Musik nach draußen gedrungen.
Sie hatte sich vorgestellt, drinnen im Ballsaal zu sein und zur Musik
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