Mitternachtserwachen
Reinigungspulver, die angeblich jeden Fleck beseitigten. Für sämtliche Sprüche gab es entsprechende Runen.
Zaubersprüche! Zuerst hatte sie es als Albernheit abgetan. Doch die Neugierde siegte, und sie hatte eine der Rezepturen erfolgreich ausprobiert. Mit dem Ergebnis musste sie jetzt leben.
Brandy grinste. „Gott, Aileen, deine Zähne sehen unnatürlich aus. Wenn du schwimmen gehst und lächelst, könnte man dich für den Weißen Hai halten.“
Letzte Woche hatte sie eine Zahnpasta nach den Anweisungen des Buches hergestellt, die Zahnschmelz um drei Nuancen aufhellen sollte. Aileen traute sich inzwischen kaum, den Mund aufzumachen.
Vor dem Erwerb des Hauses hatte sie die Gerüchte gehört, dass vor Jahrzehnten eine Hexe das Cottage bewohnt hatte, und da Hexen Aileen immer fasziniert hatten, hatte sie das Geschwätz belustigt, aber auch darin bestärkt, es zu kaufen. Eigentlich hatte sie es nicht gekauft, sondern gemeinsam mit Ralph eine Hypothek aufgenommen. Sie verbannte Ralph aus ihrem Gehirn, weil sie ihre Trauer überwinden musste. Aileen nahm sich vor, eine Weile nur an sich zu denken, sodass sie endlich aus dem Loch steigen konnte, in dem sie die letzten Monate mit gebrochenem Herzen und zerstörter Seele verbracht hatte.
Sie sah aus dem Fenster und lächelte bei dem Anblick der verblühenden Sommerblumen. Aileen hatte sich sofort in die Steinfassade mit den Sprossenfenstern und den weißen Fensterläden verliebt. Das Anwesen war so perfekt, genau, wie sie es sich immer erträumt hatte, als wenn es für sie gebaut worden wäre. Im ganzen Haus lagen Mosaikfliesen auf dem Boden, die nagelneu aussahen. Die Maklerin hatte ihr versichert, es wären die Originalfliesen. Aileen konnte das kaum glauben, denn nicht ein Kratzer verunstaltete die Oberflächen, obwohl sie mindestens dreihundert Jahre alt sein müssten. Zudem wiesen sie eine zeitlose Eleganz auf, die zu jedem Einrichtungsstil passte. Ihr Wohnzimmer war gemütlich eingerichtet, die Küche modern, und ihr Schlafzimmer glich einem verspielten Traum mit blassen Farben. Sie hatte dem Raum nach Ralphs Tod ein neues Aussehen verpasst, zu sehr schmerzte der Anblick des Bettes, in dem Ralph sie so oft geliebt hatte. Und auch das Graublau hatte sie nicht länger ertragen, weil es seine Lieblingsfarbe gewesen war. Sie hatte ihre letzten Ersparnisse dafür ausgegeben.
Mit einem Seufzen konzentrierte sie sich auf die Gegenwart und starrte wie so oft misstrauisch auf den Boden. Bis jetzt war sie nicht hinter das Geheimnis der Fliesen gekommen, denn sie schienen sich den Farben der Umgebung anzupassen. Es war magisch, das musste Aileen zugeben.
Aileen war die frischgebackene Inhaberin von Magic Cleaning . Da käme ein derartiges Wunderputzzeug gerade recht, zudem sie den Auftrag erhalten hatte, eine Villa zu reinigen, in der ein Mord passiert war.
Ein Mord! Zuerst hatte sie den Auftrag ablehnen wollen, doch das Angebot war zu verlockend, und daher hatte sie es angenommen, auch weil sie finanziell mit dem Rücken zur Wand stand und nicht wählerisch sein durfte. Alles, was sie in dem Haus sah und säuberte, würde sie nicht mit nach Hause nehmen, sondern es wie eine Schicht abwaschen und sich nicht emotional damit belasten.
Sie griff nach einer Haarsträhne der dunkelhaarigen Freundin. „Es fehlt nur noch das Haar einer Jungfrau.“
Sie tauschten einen vielsagenden Blick aus, nur um erneut in brüllendes Gelächter auszubrechen. Aileen war mit ihren neunundzwanzig Jahren schon lange keine Jungfrau mehr.
„Aber nicht so viel, und wehe, wenn man es sieht.“
Sie schnitt ein paar Haare ab und warf sie in die Bratpfanne. Beide sprangen zurück, weil ein grüner Nebel über dem Ceranfeld waberte, der einen undefinierbaren Geruch – eine Mischung aus alten Pilzen und Waschpulver – verströmte, sodass sie in Husten ausbrachen.
Mit tränenden Augen beäugten sie skeptisch das blutrote Pulver, das die gesamte Pfanne ausfüllte.
In diesem Moment trabte Togo in die Küche, wobei er eine Schmutzspur auf den Mosaikfliesen hinterließ, die irgendein kompliziertes Gebilde aus verschnörkelten Schriftzeichen bildeten. Anscheinend hatte er sich im Garten vergnügt und erfolgreich Blumen ausgegraben. Das tat er ständig und mit Enthusiasmus.
Dark Vader, ihr längs gestreifter Monsterkater, schnurrte bei Togos Anblick von seinem Platz auf der Fensterbank. Aileen hatte vor dem Kater niemals ein so ungewöhnliches Muster bei einer Samtpfote gesehen. Und seine Farbe!
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