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Die schoenen Muetter anderer Toechter

Die schoenen Muetter anderer Toechter

Titel: Die schoenen Muetter anderer Toechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Muentefering
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E RSTES K APITEL
Wie die Jungfrau zum Kinde
    N ichts in meinem Leben ist wichtiger, als auf der Alm zu sein.
    Nicht jeder versteht gleich, was ich damit meine, aber wenn ich dann episch die Arme ausbreite und mit ruhiger Stimme erzähle, dann senken sich die Augenlider der Zuhörerinnen, und ihre Gesichtszüge entspannen sich. Falten glätten sich auf ihrer Stirn, und ihre Hände, gerade noch nervös miteinander beschäftigt, ruhen plötzlich in ihrem Schoß.
    Auf der Alm zu sein, lernte ich vor einigen Jahren, als mich von einem Tag auf den anderen eine Allergie gegen Zigarettenqualm befiel. Demzufolge litt ich unter phobischen Angstzuständen, sobald ich mich mit mehreren Personen in einem Raum befand. Ich vermutete Zigarettenraucherinnen in jeder und jedem und zog mich misstrauisch mehr und mehr vor meinen Mitmenschen zurück.
    Meine damalige Freundin Ellen, Göttin sei Dank Nichtraucherin, machte sich furchtbare Sorgen, sprach von Vereinsamung und Lethargie. Aber je länger mein scheinbar so besorgniserregender Zustand andauerte, desto besser fühlte ich mich. Ich lernte die Ruhe kennen.
    Nicht dass ich vorher eine Hektika gewesen war. Nein, ich lebte nur wie viele andere: Ich ging auf Partys, in Discos, Kneipen, Cafés und Kaufhäuser. Und das alles war mir mit einem Schlag nicht mehr möglich. Zigarettenqualm droht so gut wie überall. Und so suchte ich viele öffentliche Orte von heute auf morgen nicht mehr auf. Ich dachte, ich würde mich schrecklich langweilen, trostlos herumsitzen, mein Geld mit unsinnigen Bestellungen aus Versandhauskatalogen verpulvern – aber nichts davon geschah.
    Stattdessen begann ich, auf der Alm zu sein.
    Ich ging im Städtischen Park spazieren und hörte den Vögeln zu. Ich lernte, die sorgsam angepflanzten oder auch die wild gedeihenden Blumen am Duft zu erkennen und die Bäume mit geschlossenen Augen am rauen Relief ihrer Rinde. Dann bestellte ich per Katalog ein Vogelbestimmungsbuch, aber das war auch das Einzige, was ich anforderte. Ich las. Ich las Gedichte aus fünf Jahrhunderten, las Sciencefiction und historische Romane, politische Pamphlete und Liebesschmonzetten. Geschichten zogen sich durch meine Tage und durch meine Nächte. Ich träumte von den Menschen in den Geschichten und weinte manchmal, wenn ich auf der letzten Seite eines Buches angekommen war.
    Meine Freundinnen begannen sich bevorzugt allein mit mir zu treffen. Plötzlich war da die Rede von Ausruhen vom Stress, die Rede von lang verheimlichten Problemen, und da war das Schweigen. Vielleicht ist es peinlich und irritierend, in einem Café zu schweigen oder in einer Kneipe. Aber am Waldrand, unter uralten Bäumen, und wenn man dank eines Vogelbestimmungsbuches weiß, dass da oben eine Lerche ihr Liedchen schmettert, ist es geradezu frevelhaft, ununterbrochen zu reden. Schweigen ist angebrachter und kommunikativer, fand ich plötzlich.
    Ellen ihrerseits fand mich in meiner meditativ anmutenden Entwicklung sexuell höchst attraktiv. Wenn ich heute zurückblicke, kann ich sagen, dass das die schönste Zeit unserer Beziehung war. Wir liebten uns häufig und in immer neuen Variationen. Ich fand immer mehr Gefallen daran, auf der Alm zu sein.
    Natürlich blieb es nicht auf Dauer bei diesem seligen Zustand. Ich lief von einer Therapie zur nächsten und hatte tatsächlich Erfolg: So plötzlich wie mich die bösartige und Glück bringende Allergie befiel, genauso rasch zeichnete sich Besserung ab. Schritt für Schritt konnte ich mich wieder unter »normale« Menschen wagen und auch zu alten Gewohnheiten zurückkehren, wenn ich wollte.
    Doch meine Zeit auf der Alm hatte mich verändert und meine Prioritäten im Leben verschoben. Und ich nahm an, dass dies immer so bleiben würde, als ich eines Abends im scherzhaften Monat April einen Anruf von meiner guten Freundin Jackie erhielt.
    »Kommst du heute mal wieder mit?«, begann sie unser Gespräch in einem provozierenden Tonfall, der eine eventuelle Absage von vornherein mit schlechter Laune sanktionierte.
    »Wohin?«, wollte ich wissen.
    »Zweiter Samstag im Monat«, flötete Jackie, ermutigt durch meine Nachfrage. An jedem zweiten Samstag im Monat war Frauenschwof im Kulturbahnhof. Ich war schon seit Ewigkeiten nicht dort gewesen. Bilder zogen vor meinen Augen auf, von grau wirkenden Frauen, die zu ohrenbetäubender Musik auf der Tanzfläche herumzuckten.
    »Ach, ich glaube, ich werde lieber lesen. Ich habe ein neues Buch von dieser tollen Autorin, von der ich dir

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