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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wollte, in seinem Herzen jedoch war er ein Dissident. Was er grundsätzlich von der Religion hielt, konnte er noch nicht sagen, doch stand für ihn fest, dass er an einen Gott der engherzigen Vorschriften und rachsüchtigen Strafen nicht glauben konnte.
    Als er durch das Fenster spähte, hörte er Musik. Sein Bruder Arne spielte Klavier – eine Jazzmelodie mit einem gefühlvollen Unterton. Harald lächelte erfreut: Arne war über die Feiertage nach Hause gekommen. Er war ein amüsanter, intelligenter Kopf; mit ihm würde sicher Leben in das lange Wochenende im Pfarrhaus kommen.
    Harald ging zur Tür und trat ein. Ohne sich umzudrehen, verwandelte Arne sein Spiel übergangslos in einen frommen Choral. Harald grinste. Arne hatte gehört, wie die Tür aufging, und geglaubt, der Vater käme herein. Der Pastor missbilligte Jazz und hätte mit Sicherheit nicht gestattet, dass man diese Musik in seiner Kirche spielte. »Ich bin‘s nur«, sagte Harald.
    Arne drehte sich um. Er trug seine braune Uniform. Er war zehn Jahre älter als Harald, arbeitete als Fluglehrer bei der Armee und war an der Flugschule in der Nähe von Kopenhagen stationiert. Da die Deutschen sämtliche militärischen Aktivitäten der Dänen unterbunden hatten, standen die Maschinen die meiste Zeit über in den Hangars. Ausgebildet werden durften nur noch Segelflieger.
    »Als du reinkamst, hielt ich dich im ersten Moment für unseren alten Herrn.« Arne musterte seinen Bruder wohlgefällig von oben bis unten. »Du wirst ihm immer ähnlicher.«
    »Soll das heißen, dass ich bald eine Glatze bekomme?«
    »Ja, höchstwahrscheinlich.«
    »Und du?«
    »Ich? Nein, das glaube ich nicht. Ich komme auf Mutter raus.«
    Das stimmte. Arne hatte die dichte, dunkle Mähne und die haselnussbraunen Augen ihrer Mutter, Harald war dagegen blond wie der Vater und hatte auch den durchdringenden, blauäugigen Blick geerbt, mit dem der Pastor seine Schäfchen das Fürchten lehrte. Beide, Harald und der Vater, waren überdies beeindruckend groß, sodass Arne mit seinen immerhin gut eins achtzig neben ihnen fast klein wirkte.
    »Ich hab da was, das ich dir vorspielen muss«, sagte Harald. Arne stand auf und machte den Klavierhocker frei. »Einer aus meiner Klasse hat mir die Platte geliehen – da konnte ich es dann nachspielen. Kennst du Mads Kirke?«
    »Das ist ein Cousin von meinem Klassenkameraden Poul.«
    »Richtig. Er hat da diesen amerikanischen Pianisten namens Clarence Pine Top Smith entdeckt.« Harald zögerte. »Was treibt denn unser alter Herr gerade?«
    »Er schreibt seine Predigt für morgen.«
    »Gut.« Im ungefähr fünfzig Meter entfernten Pfarrhaus hörte man nicht, wenn in der Kirche Klavier gespielt wurde, und damit, dass der Pastor seine Vorbereitung unterbrach und ohne besonderen Anlass zur Kirche hinüber schlenderte, war nicht zu rechnen, schon gar nicht bei diesem Wetter. Harald setzte sich ans Klavier und begann Pine Top‘s Boogie-Woogie zu spielen. Sogleich erfüllten die sinnlichen Harmonien des amerikanischen Südens den Raum. Harald war ein begeisterter Klavierspieler, wenngleich seine Mutter immer wieder sagte, ihm fehle die leichte Hand. Weil er einfach nicht still sitzen konnte, stand er auf, stieß den Hocker mit einem Fußtritt aus dem Weg, beugte sein langes Gestell über die Tastatur und spielte im Stehen. Zwar machte er auf diese Weise mehr Fehler, doch das fiel kaum ins Gewicht, solange er den mitreißenden Rhythmus beibehielt. Dann schlug er dröhnend den Schlussakkord an und sagte auf Englisch: »That‘s what I‘m talkin‘ about!« – genauso wie Pine Top auf der Platte.
    Arne lachte. »Nicht schlecht!«
    »Du solltest erst mal das Original hören!«
    »Komm mal mit raus ins Portal, ich will eine rauchen.«
    Harald richtete sich auf. »Das wird dem alten Herrn aber gar nicht gefallen.«
    »Ich bin achtundzwanzig«, erwiderte Arne. »In dem Alter brauche ich mir von meinem Vater nichts mehr sagen zu lassen.«
    »Einverstanden – aber weiß er das?«
    »Hast du etwa Angst vor ihm?«
    »Natürlich. Genau wie Mutter und so ungefähr neunundneunzig Prozent aller Menschen auf dieser Insel hier, dich eingeschlossen.«
    Arne grinste. »Na schön, ich geb‘s ja zu, ein bisschen schon!«
    Sie gingen hinaus und blieben, vor dem Regen geschützt, in dem kleinen Portal der Kirche stehen. Auf der anderen Seite des sandigen Vorplatzes hob sich in der Dunkelheit die Silhouette des Pfarrhauses ab. Durch das rautenförmige Fenster in der Küchentür

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