Mitternachtsfantasie
flüchten sollte. Sie tat weder das eine noch das andere, sondern sank auf den Fahrersitz, lehnte die Stirn ans Lenkrad, und kämpfte gegen die Tränen an. Ihr unschuldiger Wunsch nach einem neuen Auto hatte ihr einen Albtraum beschert.
Effie lächelte höhnisch. Sie hatte gesehen, dass Amelia den Kopf gegen den Lenker gelehnt hatte. Das geschah ihr recht. Wenn sie nachts im Haus bleiben würde wie eine anständige Frau, wäre sie nicht so müde. „Wieder noch spät unterwegs gewesen?“
Amelia biss die Zähne zusammen. „Nein. Ich habe Kopfschmerzen. Die scheine ich in letzter Zeit oft zu haben. Vielleicht liegt etwas in der Luft.“
Sie startete und fuhr an. Inzwischen wollte sie keinem mehr etwas vormachen, und es gab zwei Menschen, die es verdienten, die Wahrheit zu hören, bevor die Gerüchte bis zu ihnen drangen.
Sie trug die Einkäufe ins Haus und machte sich auf die Suche nach ihren Tanten. Sie saßen im Wohnzimmer und sahen sich eine Gameshow im Fernsehen an. Normalerweise hätte Amelia über die von einer neugierigen Nachbarin verbreiteten Gerüchte gelächelt. Heute befürchtete sie, ihre beiden Tanten würden sich darüber streiten, ob sie hinausgeworfen werden sollte, sobald sie mit ihrer Geschichte fertig war.
Als sie vor den Fernseher trat und ihn abschaltete, hatte sie sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Tanten.
„Was ist los, Liebes?“, fragte Wilhemina.
„Bist du krank?“, wollte Rosemary wissen.
Amelia schüttelte den Kopf, sank in den Sessel neben ihnen und brach in Tränen aus.
Wilhemina hatte Angst. In all den Jahren, seit Amelia bei ihnen war, hatte sie sich nie so benommen. „Es ist dieser Mann! Ich wusste, dass das zu nichts Gutem führen würde.“
Amelia schluchzte noch lauter.
Rosemary rutschte neben Amelia, schlang die Arme um sie und tätschelte ihr liebevoll den Rücken. „Was ist los, Darling? Du kannst es uns sagen. Du kannst uns alles erzählen. Wir lieben dich.“
Es war das Schlimmste, was sie sagen konnte, weil es Amelias Schuldgefühl noch verstärkte. Sie schniefte laut und nahm das Taschentuch, das ihre Tante ihr reichte.
„Es ist alles meine Schuld“, begann sie. „Aber ich wollte nicht, dass es so weit kommt, und ich hatte nie vor, euch zu belügen. Ich wollte bloß etwas zusätzliches Geld verdienen für das Auto.“
Wilhemina und Rosemary starrten sich an.
„Weiter, Liebes“, forderte Rosemary sie auf. „Wir hören zu.“
Amelia erzählte. Wilhemina wurde erst blass, dann nahm ihr Gesicht einen rosa Farbton an. Rosemary riss die Augen weit auf und lächelte erfreut.
„Du meinst, du hast in einer Bar gearbeitet und so ein niedliches kleines Kostüm getragen?“
Wilhemina sah ihre Schwester böse an. „Es spielt keine Rolle, was sie getragen hat. Wir wissen beide, dass Amelia nie etwas tun würde, das uns Schande bereitet. Jetzt geht es darum, dass jemand offenbar die Geschichte ausgeschmückt hat, ausgehend von der Tatsache, dass Amelia mit einer Frau zur Arbeit gefahren ist, die einen schlechten Ruf hat. Der darf aber auf keinen Fall auf Amelia abfärben.“
Amelia umarmte beide Tanten. „Ich hätte wissen sollen, dass ihr es verstehen würdet. Und ich hatte nie vor, für immer dort zu arbeiten. Nur bis ich genügend Geld für das Auto gespart hatte.“
Rosemary ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Augen glänzten. „Hast du wirklich so viel mit deinem Lohn und den Trinkgeldern verdient?“
Amelia nickte.
„Also, ich finde das wundervoll! Meinst du, sie haben auch Arbeit für mich?“
„Rosemary!“, rief Wilhemina schockiert.
„Wir könnten etwas zusätzliches Geld gebrauchen.“ Rosemary sah ihre Schwester böse an. Dann wandte sie sich wieder an Amelia. „Glaubst du, sie hätten ein Kostüm in meiner Größe?“
Amelia lächelte trotz ihrer Tränen durch ihre Tränen hindurch. „Tante Rosie, du bist einzigartig. Aber meinst du nicht, dass es ein bisschen zu spät in der Nacht für dich wäre? Du weißt, wie du es hasst, deinen Schönheitsschlaf zu versäumen.“
Rosemary seufzte. „Du hast wahrscheinlich recht. Ich muss meinen Schlaf haben. Er ist wichtig für eine gesunde Verdauung, weißt du?“
„Ja, Ma’am.“
„Na gut“, sagte Wilhemina. „Ich kann nicht behaupten, dass es mich freut, was für einen Job du dir ausgesucht hast, aber ich sehe auch nichts Falsches daran. Wenn du für deine Arbeit in der Bibliothek besser bezahlt werden würdest, wärst du nicht zu solchen Maßnahmen gezwungen gewesen. Und
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