Mitternachtsfantasie
viel Anstand, rot zu werden. „Mir erscheint es logisch, mich zu vergewissern, dass ich alles habe, bevor ich die Maschine anstelle.“
Rosemary war entsetzt darüber, dass sie selbst in ihrem hohen Alter immer noch neue Eigenheiten ihrer Schwester kennenlernte.
„Nun geh schon“, drängte Wilhemina. „Ich habe immer noch Probleme mit dieser Treppe. Mein Knöchel schwillt an, wenn ich zu oft hinauf und hinunterlaufe.“
Rosemary seufzte. „Na gut, aber ich finde, du regst dich wegen nichts auf. Wenn du einen BH übersehen kannst, kannst du ihn doch das nächste Mal waschen.“
Wilhemina sah sie ungeduldig an, und Rosemary gehorchte hastig. Das war sie schon viel zu lange gewöhnt. Aber es war weder im Flur noch in Amelias Wäschekorb etwas zu finden, und da Rosemary Willy kannte, wusste sie, dass sie nicht ohne das vermisste Wäschestück zurückgehen konnte. Also setzte sie sich aufs Bett und dachte nach.
„Hallo, Liebes“, sagte sie, als Amelia hereinkam. „Du kommst gerade rechtzeitig. Willy hat mich hergeschickt, um den Rest deiner Wäsche zu holen.“
Amelia ahnte, worum es ging. „Wäsche?“
Rosemary kicherte. „Wusstest du, dass Willy unsere Slips zählt? Diese Frau ist wirklich verrückt, findest du nicht?“
„Unsere Slips?“, wiederholte Amelia. Sie Unterhosen?“
Sie wusste genau, dass sie ihren Slip angehabt hatte, als sie nach Hause gekommen war, aber den BH hatte sie schon vermisst, als sie die Treppe hinaufgestiegen war.
„Sie zählt alles“, fuhr Rosemary fort. „Und sie schwört, dass sie einen deiner BHs verloren hat. Weißt du, wo er sein könnte?“
Amelia wusste sehr gut, wo dieser BH war, aber das würde Tante Wilhemina bestimmt nicht wissen wollen.
„Ich werde nachsehen“, sagte sie. „Du kannst ruhig weiter fernsehen.“
Rosemary strahlte. „Danke, Liebes. Du bist so rücksichtsvoll.“
Als Rosemary fort war, nahm Amelia einen sauberen BH aus der Kommode, zerknautschte ihn ein bisschen und sprühte Deodorant darauf. Dann ging sie damit nach unten.
„Hier ist er, Tante Witty.“ Sie stopfte ihn zwischen die andere Wäsche.
Wilhemina nickte zufrieden.
Amelia wünschte sich, sie könnte alle ihre Probleme so leicht lösen. Sie würde bald einen Weg finden müssen, Tyler die Wahrheit zu sagen.
12. KAPITEL
W ilhemina stand auf der Veranda und sah dem Mann aus Atlanta nach, der in ihrem alten Chrysler davonfuhr.
Rosemary schniefte. „Ich habe dieses Auto wirklich geliebt.“
„Ich weiß, aber ich finde, das ist Ausgleich genug.“ Wilhemina wedelte mit den Geldscheinen, bevor sie sie in die Tasche steckte.
Rosemary strahlte. „Die hätten wir nicht ohne Tyler.“
Wilheminas Lächeln erlosch. Sie gab nur ungern zu, dass ihre Schwester recht hatte. Sie betrachtete das Fenster, das mit Tylers Hilfe nach dem Sturm ersetzt worden war, und den Stumpf des Baumes, der die Einfahrt blockiert hatte. Dann war da auch noch das Dach, das bereits repariert worden war.
Und all das war geschehen, während sie selbst hilflos im Krankenhaus gelegen hatte. Und dann waren da die Veränderungen, die sie immer wieder an Amelia bemerkte. Nicht nur ihre Kleidung, auch ihr Verhalten hatte sich verändert. Zu Wilheminas Zeiten wäre es undenkbar gewesen, einen Verehrer in der Öffentlichkeit zu umarmen oder zu küssen.
Wilhemina musste zugeben, dass Tyler ein anständiger Mensch war. Aber es störte sie immer noch, dass es nach allem, was sie für Amelia getan hatte, nur eines Mannes bedurfte, um das unwichtig werden zu lassen.
Zu ihrer Bestürzung kam nun auch noch das Objekt ihres Ärgers angefahren und parkte in der Einfahrt. Rosemary rannte ihm entgegen.
„Tyler! Wenn Sie ein paar Minuten früher hier gewesen wären, hätten Sie noch mit Ihrem Freund aus Atlanta reden können.“ Sie strahlte, als Tyler ihre Wange küsste.
„Sie haben das Auto verkauft, was?“ Tyler fand, dass es höchste Zeit dafür war. Ihm wurde immer noch schlecht, wenn er sich an Rosemarys Fahrt zu seiner Farm erinnerte.
Wilhemina sah voller Zorn zu, wie ihre Schwester Tylers Wangenkuss akzeptierte. Bei ihr sollte er sich besser keine solche Vertraulichkeit erlauben!
Nun betrat Tyler die Veranda. „Miss Wilhemina.“
„Amelia ist nicht hier“, sagte sie.
„Ja, Ma’am. Ich bin auch hergekommen, um Sie zu sehen.“
Wilhemina wurde rot. Sie hasste Konfrontationen. „Dann können Sie wohl ebenso gut reinkommen“, meinte sie mürrisch.
Sie hatte nicht die Absicht, sich vor Effies Nase zu
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