Mitternachtspalast
blitzte in seinen Augen auf. Der Junge wollte auf Jawahal losgehen, aber Ben stellte sich ihm in den Weg und hielt ihn zurück.
»Bitte, Seth«, flüsterte er ihm ins Ohr. »Geh jetzt. Bitte.«
Seth warf Ben einen letzten Blick zu, dann nickte er und drückte ganz fest seinen Arm. Ben wartete, bis er ausgestiegen war, dann wandte er sich wieder Jawahal zu.
»Das war nicht Teil der Abmachung«, warf Ben ihm vor. »Ich werde nicht weitermachen, wenn Sie nicht aufhören, meine Freunde zu quälen.«
»Du wirst weitermachen, ob du willst oder nicht. Du hast keine andere Wahl. Aber als Zeichen meines guten Willens werde ich meine Bemerkungen über deine Freunde für mich behalten. Und jetzt mach weiter.«
Ben betrachtete die restlichen fünf Kästchen. Sein Blick fiel auf das am rechten Rand. Ohne lange zu überlegen, griff er hinein und ertastete seinen Inhalt. Ein weiteres Täfelchen. Ben atmete auf und hörte die erleichterten Seufzer seiner Freunde.
»Du hast einen Schutzengel, Ben«, sagte Jawahal. Der Junge sah auf das Holztäfelchen.
»Isobel.«
»Die junge Dame hat Glück«, stellte Jawahal fest.
»Seien Sie still«, murmelte Ben, der die Bemerkungen leid war, mit denen Jawahal jeden neuen Schritt dieses makabren Spiels kommentierte.
»Bis später, Isobel«, sagte er.
Das Mädchen stand auf und ging mit gesenktem Blick an ihren Freunden entlang, so zögerlich, als klebten ihre Füße am Boden.
»Na, hast du kein letztes Wort für Michael übrig, Isobel?«, fragte Jawahal.
»Hören Sie endlich auf«, verlangte Ben. »Was versprechen Sie sich davon?«
»Wähle ein weiteres Kästchen«, entgegnete Jawahal. »Dann siehst du, was ich mir davon verspreche.«
Isobel stieg aus dem Waggon, und Ben nahm die vier verbliebenen Kästchen in Augenschein.
»Hast du’s, Ben?«, fragte Jawahal.
Der Junge nickte und trat zu dem roten Kästchen.
»Rot. Die Farbe der Leidenschaft«, sagte Jawahal. »Und des Feuers. Nur zu, Ben. Ich glaube, heute ist deine Nacht.«
Als Sheere die Augen aufschlug und sah, wie sich Ben mit ausgestrecktem Arm dem roten Kästchen näherte, wurde sie von Panik gepackt. Sie durfte nicht zulassen, dass ihr Bruder in dieses Kästchen griff. Das Leben der Freunde hatte für Jawahal keinerlei Wert. Sie waren für ihn nichts weiter als Joker, um Ben dazu zu bringen, sich selbst zu vernichten. Jawahal war darauf angewiesen, dass der Junge ihm seinen eigenen Tod auf dem Silbertablett servierte und ihm so den Weg freimachte. Dann würde dieser verdammte Geist von ihr Besitz ergreifen und die Tunnels als ein Wesen aus Fleisch und Blut verlassen. Ein junges Wesen, mit dem er in die Welt jener zurückkehrte, die er vernichten wollte.
Noch bevor sie sich von der Stelle rührte, hatte Sheere begriffen, dass es nur einen Ausweg gab, der Jawahals Kartenhaus zum Einsturz bringen konnte. Nur sie konnte den Lauf der Ereignisse verändern, indem sie das Einzige tat, was Jawahal in seinem Plan nicht vorgesehen hatte.
Die Augenblicke, die nun folgten, brannten sich Bild für Bild in ihr Gedächtnis ein.
Sheere stürzte in fliegender Hast die sechs Meter auf ihren Bruder zu, an den drei verbliebenen Mitgliedern der Chowbar Society vorbei, die gefesselt auf dem Boden lagen. Ben drehte sich langsam um, und sein erstaunter, überraschter Blick wandelte sich in Entsetzen, als er sah, wie sich Jawahal aufrichtete und Flammen aus den Fingern seiner rechten Hand loderten. Sheere hörte Bens Schrei als fernes Echo. Sie warf sich auf ihn und riss ihn zu Boden, so dass seine Hand aus der Öffnung des roten Kästchens rutschte. Ben rollte über den Fußboden des Waggons, und Sheere sah, wie Jawahals gespenstische Gestalt vor ihr auftauchte und die brennende Hand nach ihrem Gesicht ausstreckte. Sie starrte diesen Mörder an und sah, wie seine Lippen ein verzweifeltes »Nein« formten. Die Zeit um sie herum schien stillzustehen wie ein kaputtes Karussell.
Sekundenbruchteile später schob Sheere ihre Hand in das rote Kästchen. Sie spürte, wie sich die Lamellen der Öffnung um ihre Hand schlossen wie eine giftige Blume. Ben schrie auf, und Jawahals brennende Hand ballte sich vor ihrem Gesicht zur Faust. Doch Sheere lächelte triumphierend, und dann spürte sie, wie die Viper zum tödlichen Kuss ansetzte und das Gift brennend heiß durch ihre Adern schoss wie bengalisches Feuer.
Ben schlang die Arme um seine Schwester und zog ihre Hand aus dem roten Kästchen, aber es war zu spät. Zwei blutrote Einstiche
Weitere Kostenlose Bücher