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Mitternachtspalast

Mitternachtspalast

Titel: Mitternachtspalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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eine Art Bruderschaft, die sich geschworen hat, einander bis in den Tod zu helfen und zu beschützen. Stimmt das?«
    »So ist es«, sagte Siraj.
    Eine unsichtbare Faust versetzte dem Jungen einen heftigen Schlag, so dass er in sich zusammensackte wie eine Gliederpuppe.
    »Dich habe ich nicht gefragt«, sagte Jawahal. »Ben, willst du antworten, oder wollen wir mit dem Asthma deines Freundes experimentieren?«
    »Lassen Sie ihn in Ruhe. Ja, das stimmt«, antwortete Ben.
    »Gut. Dann lass mich dich zu der fabelhaften Leistung beglückwünschen, deine Freunde hierhergebracht zu haben. Ein phantastischer Schutz.«
    »Sie sagten, Sie würden uns eine Chance geben«, rief Ben ihm in Erinnerung.
    »Ich weiß, was ich gesagt habe. Wie viel ist dir das Leben deiner Freunde wert, Ben?«
    Der Junge wurde blass.
    »Verstehst du die Frage nicht, oder möchtest du, dass ich die Antwort auf andere Weise herausfinde?«
    »So viel wie mein eigenes.«
    Jawahal lächelte müde.
    »Es fällt mir schwer, das zu glauben«, sagte er.
    »Was Sie glauben oder nicht glauben, interessiert mich nicht.«
    »Dann lass uns herausfinden, ob deine hübschen Worte der Wahrheit entsprechen, Ben«, erklärte Jawahal. »Das ist der Handel. Ihr seid sieben, Sheere nicht mitgezählt. Sie bleibt bei diesem Spiel außen vor. Für jeden von euch gibt es ein verschlossenes Kästchen, in dem sich etwas befindet … Ein Geheimnis.«
    Jawahal zeigte auf eine Reihe von Holzkästchen in unterschiedlichen Farben, die nebeneinander aufgereiht standen wie kleine Briefkästen.
    »In jedem von ihnen befindet sich vorne eine kleine Öffnung, durch die man die Hand hineinstecken, aber erst nach einigen Sekunden wieder herausziehen kann. Eine Art kleine Falle für Neugierige. Stell dir vor, jedes dieser Kästchen würde das Leben eines deiner Freunde enthalten, Ben. Und in der Tat ist es so, denn in jedem befindet sich ein Holztäfelchen mit einem eurer Namen. Du kannst deine Hand hineinstecken und es herausholen. Für jedes Kästchen, in das du deine Hand steckst und das Täfelchen herausholst, werde ich einen deiner Freunde freilassen. Aber es gibt natürlich ein Risiko. Eines der Kästchen enthält nicht das Leben, sondern den Tod.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Ben.
    »Hast du schon einmal eine Viper gesehen, Ben? Ein kleines Tierchen mit launischem Temperament. Kennst du dich mit Schlangen aus?«
    »Ich weiß, was eine Viper ist«, erwiderte Ben, während er spürte, wie seine Knie weich wurden.
    »Dann erspare ich dir die Details. Es reicht, wenn du weißt, dass in einem der Kästchen eine Viper ist.«
    »Ben, mach das nicht«, sagte Ian.
    Jawahal warf ihm einen bösen Blick zu.
    »Ben, ich warte. Glaub nicht, dass dir irgendjemand in Kalkutta einen großzügigeren Handel anbietet. Sieben Leben und nur eine Möglichkeit, einen Fehler zu machen.«
    »Woher weiß ich, dass Sie nicht lügen?«, fragte Ben.
    Jawahal streckte seinen langen Zeigefinger aus und schüttelte langsam den Kopf.
    »Lügen ist eines der wenigen Dinge, die ich nicht mache, Ben. Und du weißt das. Entscheide dich jetzt. Wenn du nicht den Mut hast, das Spiel zu spielen und unter Beweis zu stellen, dass dir deine Freunde so viel wert sind, wie du uns glauben machen willst, dann sag es klar und deutlich, und wir lassen einem anderen mit mehr Mumm den Vortritt.«
    Ben hielt Jawahals Blick stand und nickte schließlich.
    »Nein, Ben«, sagte Ian erneut.
    »Sag deinem Freund, er soll still sein, Ben«, bemerkte Jawahal, »oder ich bringe ihn zum Schweigen.«
    Ben warf Ian einen flehenden Blick zu.
    »Mach es nicht noch schwieriger, Ian.«
    »Ian hat recht, Ben«, mischte sich Isobel ein. »Wenn er uns umbringen will, soll er es tun. Lass dich nicht hinters Licht führen.«
    Ben hob beschwichtigend die Hand und wandte sich an Jawahal.
    »Habe ich Ihr Wort?«
    Jawahal sah ihn lange an, dann nickte er.
    »Verlieren wir keine Zeit mehr«, schloss Ben und ging zu der Reihe von Kästchen, die auf ihn warteten.
     
    Ben betrachtete eingehend die sieben verschiedenfarbigen Holzkästchen und versuchte zu erraten, in welchem Jawahal die Schlange versteckt haben könnte. Sich in seine Gedankengänge hineinzuversetzen, war, als wollte man ein Puzzle legen, ohne das Bild zu kennen, das es ergab. Die Schlange konnte sich in einem der Kästchen am Rand verbergen oder in der Mitte, in einem besonders bunten oder in dem mit dem schwarzen Deckel. Alles Mutmaßen führte zu nichts, und Ben merkte, dass er

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