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Mitternachtspalast

Mitternachtspalast

Titel: Mitternachtspalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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sprühten.
    Er spürte eine Explosion unter seinen Füßen und bemerkte bald, wie dichte Flammen am Gerippe des Zuges hochleckten und die verkohlten Holzreste, die noch an dem Metall hafteten, zerbarsten. Die Hitze ließ auch die Glasscherben zerspringen, die in die Fensterhöhlen ragten wie die Reißzähne eines mechanischen Ungeheuers. Ben musste sich auf den Boden werfen, um dem Scherbenregen zu entgehen, der in den Waggon und gegen die Wände des Tunnels spritzte wie Blut nach einem Kopfschuss.
    Als er wieder aufstehen konnte, sah er in der Ferne Jawahals Silhouette zwischen den Flammen und begriff, dass er ganz in der Nähe der Maschine war. Jawahal drehte sich um, und Ben konnte sogar durch das verpuffende Gas hindurch, das in blauen Feuerringen durch den Zug raste und Staubfontänen aufwirbelte, sein verbrecherisches Grinsen sehen.
    »Komm …«, hörte er eine Stimme in seinem Kopf flüstern.
    Sheeres Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf, und Ben ging langsam auf den letzten Waggon zu, der noch vor ihm lag. Als er auf die äußere Plattform trat, bemerkte er einen kühlen Luftzug. Der Zug musste mittlerweile kurz davor sein, die Tunnels zu verlassen, und raste mit voller Geschwindigkeit auf die Haupthalle von Jheeter’s Gate zu.
     
    Ian redete Sheere während des ganzen Rückwegs gut zu. Er wusste, wenn sie sich dem tödlichen Schlaf überließ, der sie zu überwältigen drohte, würde sie das Tageslicht außerhalb dieser Tunnels nicht mehr wiedersehen. Michael und Roshan halfen ihm, sie zu stützen, aber es gelang keinem der beiden, ihr eine Silbe zu entlocken. Ian verbannte die Gefühle, die an ihm nagten, in den letzten Winkel seiner Seele und erzählte absurde Anekdoten und alle möglichen Geschichtchen, bereit, das letzte Wort aus seinem Hirn herauszupressen, um sie wach zu halten. Sheere hörte ihm zu und nickte schwach, während sie die schläfrigen, abwesenden Augen mühsam offen hielt. Ian hielt die Hand des Mädchens zwischen seinen Händen und spürte, wie ihr Puls langsam, aber unausweichlich schwächer wurde.
    »Wo ist Ben?«, fragte sie.
    Michael sah Ian an. Der lächelte ruhig.
    »Ben ist in Sicherheit, Sheere«, antwortete er. »Er ist einen Arzt holen gegangen, was ich in Anbetracht der Umstände eine Frechheit finde. Schließlich bin ich hier der Arzt. Oder ich werde es mal sein. Was ist das für ein Freund? Haut bei der ersten Gelegenheit ab, um einen Arzt zu holen. Ist nicht gerade aufbauend für mich. Dabei gibt es nur wenige Ärzte wie mich. Man muss einfach dafür geboren sein. Deshalb weiß ich instinktiv, dass du wieder gesund werden wirst. Unter einer Voraussetzung: Du darfst nicht einschlafen. Du wirst doch nicht einschlafen, oder? Du darfst jetzt nicht einschlafen! Zweihundert Meter von hier wartet deine Großmutter auf uns, und ich kann ihr nicht erklären, was passiert ist. Wenn ich es versuche, wird sie mich in den Hooghly River werfen, und in ein paar Stunden legt mein Schiff ab. Also bleib wach und hilf mir mit deiner Großmutter. Einverstanden? Sag was!«
    Sheere begann schwer zu atmen. Die Farbe wich aus Ians Gesicht, und er schüttelte sie. Sheere öffnete erneut die Augen.
    »Wo ist Jawahal?«, fragte sie.
    »Er ist tot«, log Ian.
    »Wie ist er gestorben?«, brachte Sheere mühsam hervor.
    Ian zögerte eine Sekunde.
    »Er ist unter den Zug geraten. Da war nichts mehr zu machen.«
    Sheere schien zu lächeln.
    »Du kannst nicht lügen, Ian«, flüsterte sie, mühsam um jedes Wort kämpfend.
    Ian merkte, dass er seine Rolle nicht mehr viel länger spielen konnte.
    »Der Lügner in der Gruppe ist Ben«, sagte er. »Ich sage immer die Wahrheit. Jawahal ist tot.«
    Sheere schloss die Augen, und Ian gab Michael und Roshan ein Zeichen, sich zu beeilen. Eine halbe Minute später fiel das Licht vom Ende des Tunnels auf ihre Gesichter, und die Umrisse der Bahnhofsuhr zeichneten sich in der Ferne ab. Als sie dort ankamen, wurden sie von Siraj, Isobel und Seth erwartet. Das erste Morgenlicht zeichnete sich als scharlachrote Linie am Horizont hinter den großen Metallarkaden von Jheeter’s Gate ab.
     
    Ben blieb vor der Tür zum letzten Waggon stehen und legte seine Hände auf den Drehknauf, mit dem sie schloss. Er war glühend heiß. Ben drehte ihn langsam, während er spürte, wie sich das Metall in seine Haut brannte. Eine Dampfwolke entwich aus dem Inneren des Waggons. Ben stieß die Tür mit dem Fuß auf. Jawahal stand reglos im dichten Dampf der Kessel und beobachtete

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