Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
haben meinen Hund erschossen. Fergis war der beste Hund, den man sich vorstellen kann. Ich trauere ihm immer noch nach.«
Magnus’ Miene wurde etwas milder. »Wie heißt du?«
Nach kurzem Überlegen beschloss sie, bei ihrem richtigen
Vornamen zu bleiben. Hinter Magnus erspähte sie eine Dose mit Finney’s Lederfett. »Kit. Kit Finney.«
»Ziemlich lustiger Name für einen Jungen.«
»Meine Eltern waren große Bewunderer von Kit Carson, dem Indianerkämpfer.«
Magnus, der sich mit ihrer Erklärung zufriedenzugeben schien, begann ihr sämtliche Aufgaben zu erklären. Nachher gingen sie zum Frühstück in die Küche, wo er ihr die Haushälterin Mrs. Simmons vorstellte.
Edith Simmons war eine resolute Frau mit dünnem, grau meliertem Haar und unverrückbaren Standpunkten. Für den Vorbesitzer hatte sie als Köchin und Haushälterin gearbeitet. Bei Baron Cain war sie nur geblieben, weil er Junggeselle war und sie sich von keiner Ehefrau etwas sagen lassen musste. Edith legte Wert auf Sparsamkeit, gutes Essen und Sauberkeit. Sie und Kit waren natürliche Feinde.
»Der Junge ist ja völlig verdreckt. So kann er nicht mit zivilisierten Menschen an einem Tisch sitzen!«
»Da kann ich Ihnen nicht widersprechen«, erwiderte Magnus.
Kit war zu ausgehungert, um lange zu protestieren. Also stapfte sie an den Küchenspülstein und spritzte sich Wasser ins Gesicht und über die Hände, verzichtete allerdings auf die Seife. Die roch mädchenhaft, und alles Weibliche war Kit verpönt.
Während sie das reichhaltige Frühstück verspeiste, beobachtete sie Magnus Owen. So zuvorkommend, wie Mrs. Simmons ihn bediente, tippte Kit darauf, dass er eine wichtige Person im Haushalt war. Das war ungewöhnlich für einen Schwarzen, noch dazu für einen so jungen Mann. Er hatte irgendetwas an sich, aber erst nach dem Frühstück fiel es ihr ein. Er erinnerte sie an Sophronia, die Köchin auf Risen Glory und den einzigen Menschen auf Erden, den
Kit liebte. Beide handelten mit einer ungeheuren Selbstsicherheit.
Unvermittelt musste sie einen Anflug von Heimweh verscheuchen. Bald war sie ja wieder auf Risen Glory, um die Plantage auf Vordermann zu bringen.
Am Nachmittag, als sie mit ihrer Arbeit fertig war, setzte sie sich neben das Scheunentor in den Schatten, eine Hand auf Merlins Fell. Der Hund hatte den Kopf auf ihren Schoß gelegt und war eingeschlafen. Er rührte sich auch nicht, als Magnus kam.
»Als Wachhund ist er eine ziemliche Niete«, flüsterte sie. »Wenn Sie ein Axtmörder wären, wäre ich jetzt tot.«
Schmunzelnd hockte Magnus sich neben sie. »Zugegeben, von einem Wachhund hat er nicht viel. Aber er ist ja auch noch jung. Er war noch ein Welpe, als der Major ihn hinter dem Haus entdeckte, wo er in den Abfällen rumschnupperte.«
Kit hatte Cain an diesem Tag nur einmal zu Gesicht bekommen, als er sie schroff angewiesen hatte, Apollo für ihn zu satteln. Keine Begrüßung, kein persönliches Wort. Nicht dass sie mit seinesgleichen plaudern wollte, ihr ging es dabei mehr ums Prinzip.
Die Yankee-Zeitungen nannten ihn den Helden vom Missionary Ridge. Sie wusste, dass er in Vicksburg und in Shiloh gekämpft hatte. Womöglich hatte er sogar ihren Dad auf dem Gewissen. Es war eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass er noch lebte, während viele tapfere konföderierte Soldaten tot waren! Zumal er ausgerechnet das bedrohte, was ihr als Einziges auf der Welt geblieben war.
»Wie lange kennen Sie den Major schon?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
Magnus zupfte einen Grashalm ab und begann darauf herumzukauen. »Seit Chattanooga. Da hat er mir das Leben
gerettet und wäre beinahe selber umgekommen. Seitdem sind wir zusammen.«
Ein grässlicher Verdacht keimte in Kit auf. »Sie haben für die Yankees gekämpft, stimmt’s, Magnus?«
»Klar hab ich für die Yankees gekämpft!«
Keine Ahnung, wieso sie plötzlich so bestürzt war, vielleicht, weil sie Magnus mochte. »Sie haben mir aber doch erzählt, dass Sie aus Georgia sind. Wieso haben Sie nicht für Ihre Heimat gekämpft?«
Magnus nahm den Grashalm aus dem Mund. »Du hast vielleicht Nerven, Junge. Sitzt hier neben einem Schwarzen und fragst ihn unverblümt, wieso er nicht für die Leute kämpft, die ihn in Ketten gelegt haben. Ich war zwölf, als ich aus der Sklaverei befreit wurde. Ich ging in den Norden. Ich hatte einen Job und ging zur Schule. Aber ich war nicht wirklich frei, verstehst du das? Kein Neger in diesem Land konnte wirklich frei sein, solange seine
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