Mitternachtsspuren - Mignani, L: Mitternachtsspuren
Buchrücken.
„Das ist nicht das, wonach es aussieht?“
Er grinste über ihre Begeisterung. Es überraschte sie, wie sehr ihm der freche Ausdruck zu Gesicht stand. Seine Ausstrahlung wuchs um zehn weitere Punkte. Als ob er es nötig hätte.
„Die Originalausgaben von Shakespeare. Lior hat ihn persönlich getroffen.“
Ihre Knie gaben nach. Wie alt waren diese Typen?
In einer menschlich unmöglichen Schnelligkeit stand er neben ihr und stützte sie. Die Berührung entfachte die Tattoos und verstörte sie beide.
Was geschah bei einer richtigen Berührung? Er ließ sie los, als wäre sie glühend heiß. Das Silber, das in seinen Augen glänzte, musste durch das gedämpfte Licht verursacht worden sein.
Stirnrunzelnd griff sie nach einem Taschenbuch.
Sündiges Begehren
prangte auf dem Buchrücken. Im Gegensatz zu den anderen Titeln zeigte es deutliche Gebrauchsspuren. Sie sparte sich einen Kommentar und schob es schmunzelnd zurück.
Er deutete auf einen der dunkelblauen Sessel, die vor dem Kamin thronten. Ihr Herz schlug viel zu schnell. Ehe sie es schaffte, sich zu setzen, packte Kendrick sie und seine Lippen lagen auf ihren. Eine Hand umfasste ihren Nacken, die andere presste ihr Becken gegen seins.
Gott, sie wollte ihn.
Dann schob er sie fast mit Gewalt auf das Sitzpolster und sah sie entschuldigend an. „Das Nasgadh setzt meinen Verstand außer Funktion. Ich muss dich über ein paar Dinge informieren, bevor der Rat hier auftaucht.“
Kendrick erschreckte sie mit dem ernsten Ausdruck. Sie wappnete sich gegen seine Worte.
„Una war eine Hüterin des Wissens, eine Wächterin. Sie war nicht mit dir verwandt.“
„Eine Wächterin?“ Ihr leerer Kopf half ihr nicht. Sie versuchte vergeblich, Intelligenz in ihrem Gehirn zu finden, irgendeine Logik in die vergangenen Tage hineinzubringen.
„Sie erfuhr kurz vor ihrem Tod von dir. Sie wurde in dem Moment mit einem Todesfluch belegt, als sie dich kontaktieren wollte. Der Fluch aktivierte das tödliche Gift. Du bist wie aus dem Nichts aufgetaucht.“ Er sah sie durchdringend an und ergriff ihre Hände. „Wenigstens soweit meine Informationen reichen. Ich bin immer sicherer, dass Nosferat viel mehr weiß, was dich angeht.“
Morven erinnerte sich, wie sie Una das erste Mal gesehen hatte. Sie lag vom Tode gezeichnet auf ihrem Krankenbett. Sie hätte gern irgendetwas über ihre Eltern erfahren, aber Una konnte kaum reden, ein seidener Faden trennte sie vom Tod. Nach ihrem Tod hatte sie Nachforschungen angestellt, doch sie führten ins Leere. Jetzt wusste sie, warum.
„Ich erinnere mich nicht an die Pflegerin.“
Er richtete sich auf.
„Was?“
„Überhaupt liegt die ganze Begegnung verborgen in meinen Erinnerungen, eingepackt in einen undurchdringlichen Nebel.“ Kendrick starrte sie an, als hätte sie ihm mitgeteilt, dass sie die Kronjuwelen in ihrem Kühlschrank aufbewahrte.
„Ich weiß nicht, wie ich in das Cottage gekommen bin.“ Sie umfasste die Lehnen des Sessels. Wenn sie darüber nachdachte, schmerzte ihr Kopf, als bliese jemand Luft hinein.
„Woran erinnerst du dich?“ Er versuchte, seine Beunruhigung zu verbergen. Nicht sein Tonfall oder Ausdruck verriet ihn, es war das Tattoo. Es flammte auf.
„Ich erinnere mich an zwei Sätze, die sie stammelte. Das Cottage biete Sicherheit vor dem Bösen. Außerdem musste ich ihre eine Feuerbestattung versprechen und ihre Asche im Wald verstreuen.“
„Sie wurde am vierten August 1948 geboren, du am siebten September 1979. Solche Geburtstage sind typisch für eine Armanach.“
In ihrem Pass stand der erste September als Geburtsdatum.
„Dann kannte sie meine Mutter und meinen Vater nicht.“
„Es besteht die Möglichkeit, dass sie Informationen herausgefunden hat. Irgendetwas passierte mit dir, das deine Fähigkeit geweckt hat. Wer dich aufgespürt hat, erfuhr zeitgleich mit Una von dir. Ich glaube nicht an Zufälle.“
Una war wegen ihr getötet worden. Die Liste verlängerte sich tagtäglich. Morven spürte Trauer, aber vor allem Wut.
„Lehn dich zurück. Ich versuche, die Erinnerung an diese Pflegerin in deinen Gedanken zu orten.“
Er bemerkte ihr Misstrauen.
„Vertrau mir. Bitte.“
Sie schloss die Lider. „Sieh mich an.“
Es kostete sie viel, in seine Augen zu sehen, verlor sie sich doch in der Intensität. Wo führte diese Reise hin? Die Angst, dass er sie zerstörte, löste sich auf. Sie zuckte zusammen, fühlte das vorsichtige Tasten in ihrem Kopf. Es war nicht unangenehm.
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