Mitternachtsstimmen
können als sie. Danach hatte sie in
Büchereien und Buchläden herumgestöbert, ohne eine genaue
Vorstellung davon zu haben, wonach sie eigentlich suchte.
Schlussendlich hatte sie im Internet nachgeforscht und
unzählige Stunden vor dem Monitor verbracht, hatte Hunderte
Webseiten und Dateien aufgemacht, um irgendetwas zu finden,
was sie in die richtige Richtung führen mochte.
Und vor zwei Wochen wurde sie endlich für ihre
unermüdliche Suche belohnt.
Sie hatte eine dieser genealogischen Seiten besucht, die die
Suchmaschine ausgespuckt hatte, und nacheinander die
Familiennamen all ihrer Nachbarn eingegeben. Die
Kombination Burton UND Rumänien zum Beispiel. Viele
Treffer hatte es nicht gegeben, und die meisten davon
benutzten eine andere Schreibweise: Birtin.
Nachdem sie die Hälfte der Einträge durchgelesen hatte, war
klar, dass die meisten »Birtins« ursprünglich anders hießen,
aber alle aus einer kleinen Stadt im Norden Rumäniens
stammten, die Birtin hieß. Wahrscheinlich war den Schreibern
in der Registratur von Ellis Island damals die einfache
Schreibweise von Birtin lieber gewesen als die vielsilbigen
Nachnamen, die viele der rumänischen Einwanderer trugen.
Jeder Name enthielt einen Link zu einer Familien-Webseite
oder einem virtuellen schwarzen Brett, und Caroline war jedem
dieser Links nachgegangen.
Die meisten hatten an Informationen nicht viel gebracht, nur
genealogische Verläufe, die in Ellis Island endeten. Doch
ziemlich am Ende der Liste war sie auf einen Link gestoßen,
der sie schlussendlich in diesen Zug geführt hatte, der sich jetzt
langsam seinen Weg durch das osteuropäische Bergland
bahnte. Der Link hatte an ein Familienforum und weiter an ein
schwarzes Brett verwiesen, das eine seltsame Nachricht
enthielt. Gerichtet war diese an MILESOVICH ODER
MILESOVICI AUS BIRTIN?
Der Text lautete folgendermaßen:
»Ich bin im Besitz eines unvollständigen Briefs an meinen
Urgroßvater, Daniel Milesovich, von seiner Schwägerin, Ilanya
Vlamescu, die in einem Dorf namens Gretzli in der Nähe der
rumänischen Stadt Birtin lebte. Sie wollte ihren Sohn und ihre
Tochter nach Amerika schicken, und zwar aus dem Grund,
weil etwas die Kinder im Dorf tötete. Weiß irgendjemand
etwas darüber? Es muss nach 1868 gewesen sein.«
Wieder und wieder hatte Caroline die Nachricht durchgelesen und sich eingeredet, dass das nichts zu bedeuten hatte,
dass dort sicherlich die Pest, die Pocken, die Grippe oder sonst
eine der Epidemien grassiert hatten, die damals jahrhundertelang Europa heimgesucht hatten.
Aber in dem Schreiben stand nichts von Pest, Pocken,
Grippe oder einer anderen Seuche.
Es war nur von etwas die Rede gewesen.
In ihrer Antwort bat sie um nähere Einzelheiten und erhielt
zwei Tage später eine E-Mail von einer gewissen Marge
Danfield aus Anaheim in Kalifornien. »Viel mehr weiß ich
auch nicht«, hieß es in der Mail. »Das Datum auf diesem Brief
ist unleserlich, aber mein Urgroßvater kam 1868 nach
Amerika. Der Brief ist auf Rumänisch abgefasst, und die
Schrift ist ziemlich schlecht. Ich habe eine Übersetzung
beigefügt, kann aber nicht beurteilen, wie akkurat diese ist.
Offen gesagt glaube ich, dass diese Ilanya ein bisschen
verrückt war, was mich nicht weiter wundern würde. Meine
Mutter hat immer behauptet, in der rumänischen Familie
meines Vaters wären sie alle Zigeuner gewesen, weil sie
ungeheuer abergläubisch waren. Aber viel mehr, als in dem
Anhang steht, weiß ich auch nicht über die Urgroßtante meines
Vaters. Laut Familienbibel wurde sie Witwe, als ihre beiden
Kinder noch sehr klein waren, und heiratete dann einen Mann
namens Vlamescu, der wahrscheinlich dieser ›Anton‹ aus dem
Brief ist. Soviel ich weiß, hat sie ihre Kinder nie nach Amerika
geschickt, und nach diesem Brief hat auch nie wieder jemand
von ihr gehört. Als weiteren Anhang finden Sie eine
Fotografie, die Ilanya zeigen könnte, wahrscheinlich mit ihrem
zweiten Ehemann, aber sicher ist das nicht. Falls Sie mehr über
diese Angelegenheit in Erfahrung bringen sollten, lassen Sie es
mich bitte wissen.«
Anschließend hatte Caroline den Anhang aufgemacht, der
eine gescannte Kopie des alten Briefes enthielt, zusammen mit
der Übersetzung:
… Ilie ist zwölf und Katya dreizehn, so alt wie die anderen
Kinder waren. Der Doktor weiß nicht, was sie krank macht –
sie sterben einfach … sechs Kinder im letzten Jahr … zwei
Knaben und vier Mädchen. … Anton
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