Mittsommerzauber
vielen schlaflosen Nächten hatte sie schon darüber nachgedacht. Wie sollte es weitergehen mit ihr und dem Tärna? Konnte sie diesen Gasthof wirklich allein führen? Sie hatte keine Ahnung vom geschäftlichen Bereich, das hatte immer Johan gemacht. Mehr schlecht als recht, wie sich jetzt herausstellte. Sie war immer für die Organisation zuständig gewesen. Dafür, dass genügend Tischdecken da waren und Servietten. Dass das Geschirr in Ordnung war. Dass zu Stoßzeiten im Hochsommer, wenn die Gäste das Tärna zu stürmen schienen, genügend Aushilfspersonal zur Verfügung stand. Für alles andere hatte Johan gesorgt.
»Ich will nicht, dass du dir über das Finanzielle Gedanken machst«, hatte er immer gesagt. »Das macht nur schlechte Laune und Falten auf der Stirn.« Und er hatte sie dann lachend in die Arme genommen und war mit ihr durch die Stube getanzt. Und Augusta hatte ihm vertraut und sich immer sicher bei ihm gefühlt.
Katarinas Stimme drang in Augustas Erinnerung. »Und du misstest nichts von den Schulden?«
Augusta schüttelte den Kopf. »Ich glaube, wenn ich davon gewusst hätte, hätte ich das Erbe gar nicht angetreten. Ich habe doch keine Ahnung, was ich jetzt tun soll.«
Sie war bestürzt und verzweifelt. Und drehte sich jetzt weg, weil ihr die Tränen in die Augen stiegen und sie nicht wollte, dass Olaf das sah. Katarina und Annicka nahmen sie spontan in die Arme. Dann machte sich Augusta los und ging einfach weg. Annicka wollte ihr nachlaufen, doch Katarina hielt sie an der Hand fest.
»Lass sie. Sie muss jetzt allein sein.«
Annickas mitleidiges Herz brannte. »Wir müssen ihr helfen, Mama. Sie ist doch ganz allein.«
Katarina kannte diesen eindringlichen Blick ihrer Tochter. Sie würde jetzt nicht mehr lockerlassen. Bis sie wenigstens eine Antwort von Katarina bekommen hatte. Helfen? Ja sicher. Nur wie. Es gab vielleicht eine Möglichkeit, aber konnte sie Annicka das an tun? Das Mädchen hatte sich doch so auf die gemeinsame Reise gefreut.
»Was ist mit Spanien? Die Clubferien. Die müssten wir dann sausen lassen...«
Annicka nickte und umschlang dann ihre Mutter mit den Armen.
»Hier ist es doch auch schön.«
Katarina sah in Annickas schmales Gesicht, das zu glühen schien vor Aufregung und Sorge um Tante Augusta. Was war das nur für ein Kind? War sofort bereit, den ersehnten Spaß-Urlaub am Mittelmeer zu opfern für eine Großtante... oder war es nicht sogar eine Urgroßtante? Die sie gerade mal einen halben Tag kannte.
Aber Katarina kannte dieses Gefühl. Ihr war es damals genauso gegangen, als sie mit ihrem Vater hierher gekommen war. Tante Augusta und Onkel Johan hatten sie, das kleine schüchterne Stadtmädchen, damals mit einer so herzlichen Selbstverständlichkeit willkommen geheißen, dass sich Katarina vom ersten Augenblick an auf Tärna wie zu Hause gefühlt hatte. Gut, dann sollte es wohl so sein. Sie wandte sich an Olaf, der inzwischen angefangen hatte, seine Kisten wieder in das Boot zurückzuräumen.
»Geben Sie mir einen Tag, ja? Dann begleiche ich Johans Schulden.«
Er sah Katarina stumm an. Nickte dann.
»Ein Tag, von mir aus.« Er räumte weiter die Kisten ein.
»Ja, aber nur, wenn Sie die Sachen hier lassen.«
Sie wusste, dass diese Forderung im Grunde eine Frechheit war. Aber sie wollte es wenigstens versuchen. Sie hielt Olafs stirnrunzelndem Blick mühelos stand und bekräftigte sogar ihre Forderung noch einmal.
»Sie lassen die Sachen hier, und ich komme morgen mit dem Geld zu Ihnen.«
»Ach? Und wenn nicht? Ich meine, ich kenne Sie doch gar nicht? Was, wenn Sie gar kein Geld haben.«
Sie lachte ihn einfach an.
»Ja. Dann haben Sie Pech gehabt. Aber soll ich Ihnen was sagen - dann haben wir alle Pech gehabt. Sie. Arne. Göran. Augusta. Und ich auch.«
»Sie auch? Wieso das denn?«
»Weil ich in den Ferien dann nicht mehr hierher kommen kann, wenn Augusta gezwungen ist, das Tärna aufzugeben. Und das wäre mehr als Pech. Das wäre ein richtiges Unglück.«
*
Ein paar Stunden später war es für Katarina und Annicka so, als ob sie nie vorgehabt hätten, nach Spanien zu fahren. Katarina war optimistisch, dass sie eine Lösung für Augustas Probleme finden würde. Und Annicka war dabei, alle ihre Freundinnen über die geänderten Ferienpläne zu unterrichten.
»Die Karte ist für Lina. Und die für Karin. Und die kriegt meine Lehrerin, Frau Lindberg, die ist so nett.«
Annicka hüpfte aufgeregt neben Katarina her. Zeigte ihr die bunten Postkarten,
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