Mittsommerzauber
an der Seite des Personalchefs den endlos scheinenden Flur entlangging bis zur Empfangshalle, wo die großen Plakate hinter dem Tresen in Hochglanzfarben die bunte Abenteuerwelt der Kreuzfahrtflotte zeigten. Sie war erschöpft, aber auch seltsam aufgekratzt, und die Erleichterung darüber, dass sie es hinter sich hatte, mochte sich noch nicht recht einstellen. In ihrem Kopf herrschte ein wirres Durcheinander, und sie versuchte vergeblich zu rekapitulieren, ob es wohl gut oder schlecht gelaufen war.
Frank Brodersten hätte vom Alter her ihr Vater sein können und hatte sich sogar ein wenig so benommen. Ruhig, freundlich und mit einem Hauch von Schalk hatte er ihr alle Ängste genommen und sie in eine Unterhaltung verstrickt, die wenig mit einem herkömmlichen Vorstellungsgespräch zu tun hatte, sondern eher einem Plausch ähnelte, wie er sich zwischen zwei Menschen ergab, die sich zufällig gerade an einer Bar oder am Strand kennen gelernt hatten. Sie hatten hauptsächlich über ihre Studienzeit in Stockholm gesprochen und waren dann beim Rafting gelandet, ein Thema, das sie beide begeisterte und bei dem sie hängen geblieben waren. Brodersten war ebenfalls ein passionierter Kajakfahrer.
»Es hat mich wirklich sehr gefreut, Sie kennen gelernt zu haben«, sagte Brodersten. »Es war ein interessantes Gespräch, Frau Blomquist.« Er gab ihr die Hand. »Sie hören in ein paar Tagen von uns.«
Was wohl so viel bedeutete wie: Den Weg hätten Sie sich auch sparen können. Anna nickte beklommen. »Danke vielmals.« Sie wandte sich zum Gehen, blieb aber dann in der offenen Glastür stehen. Es war absurd und verrückt, aber sie konnte nicht anders.
»Herr Brodersten«, platzte sie heraus. »Ähm... Ich weiß, das ist jetzt vielleicht unprofessionell. Aber ich muss es einfach wissen: Wie stehen denn meine Chancen?« Sie hielt inne, dann fügte sie hastig hinzu: »Sie müssen natürlich nicht antworten. Aber... Ich meine, wenn Sie sich zu einer Andeutung durchringen könnten... Dieser Job wäre nämlich enorm wichtig für mich...«
»Das habe ich begriffen.« Zu Annas grenzenloser Erleichterung reagierte Brodersten weder reserviert noch pikiert auf ihren Redeschwall. Im Gegenteil, er lächelte sie an. »Ehrlich gesagt, ich denke, Sie wären keineswegs verkehrt in diesem Job. Mit Ihrer pädagogischen Ausbildung und Ihrem Spaß am Sport... Sagen Sie, wieso arbeiten Sie eigentlich in einer Apotheke und nicht mit Kindern?«
»Das frage ich mich manchmal auch«, murmelte Anna. Lauter setzte sie hinzu: »Die Apotheke gehört meinem Verlobten. Seine einzige Mitarbeiterin fiel aus, und er suchte vergeblich nach einem Ersatz.«
»Und fand schließlich Sie«, schlussfolgerte Brodersten. »Seine Verlobte.«
Anna nickte und fühlte sich dabei erbärmlich. Natürlich hatte sie Bertil damals nicht einfach so hängen lassen können. Silke war noch nicht mit ihrer Ausbildung fertig gewesen, und sonst gab es niemanden, der auf die Schnelle hätte einspringen können. Außerdem hatte es geheißen, dass es nur für ein paar Monate wäre.
Bei Broderstens nächster Frage unterdrückte Anna ein bitteres Auflachen, denn er brachte das ganze Problem mit wenigen Worten auf den Punkt.
»Wie lange ist das denn jetzt her?«, fragte er.
»Im September sind es fünf Jahre.« Anna fragte sich, was er nun in ihr sah. Eine Frau mit Helfersyndrom? Eine Person, die sich nicht durchsetzen konnte und unfähig war, ihren eigenen Weg zu gehen? Oder einfach jemanden, der andere nicht im Stich ließ?
Wie auch immer, sie würde auf ihrem neuen Weg nicht zurückstecken. Jetzt nicht mehr.
Entschlossen hob sie den Kopf und schaute Brodersten geradewegs in die Augen. »Dieses Jubiläum werde ich aber auf keinen Fall feiern, glauben Sie mir.«
Als sie anschließend aus dem Gebäude trat und die wenigen Schritte bis zum Hafen schlenderte, überlegte sie, dass sie ihre Sache vielleicht doch nicht ganz so schlecht gemacht hatte. Am Ende war es ihr wirklich so vorgekommen, als würde Brodersten sie mögen.
Doch dann wurde sie erneut von negativen Gefühlen heimgesucht. Möglicherweise mochte er sie, aber das wollte noch nichts heißen. Sicher hatten sich zahlreiche andere Bewerber für die Stelle gemeldet, und es konnte gut sein, dass sie nur eine von vielen war, mit denen er sich nett unterhalten hatte. Vielleicht war es einfach nur seine Art, liebenswürdig zu sein, und am Ende würde diejenige die Stelle bekommen, die am meisten Berufserfahrung hatte. Sie selbst
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