Mittsommerzauber
sein. Ich hatte Strömling bestellt. Einen ganz einfachen Strömling.« Katarina strahlte ihn an. Sie trat wieder an den Tisch.
»Das ist einfacher Strömling. Nach Art des Hauses. Probieren Sie ihn. Sie werden keinen anderen mehr essen wollen.«
Ihre Stimme bekam einen beschwörenden Klang. Und traf bei Sven den richtigen Nerv. Einen Augenblick lang ruhte sein Blick auf Katarinas schönem, klarem Gesicht. Ihre leuchtenden Augen fesselten ihn. Sie schienen vor Leben zu sprühen. Was war das nur für eine Farbe? Nicht dunkelblau, nicht schwarz. Eher ein tiefes, schillerndes Veilchenblau. Er spürte sofort, dass man sich in diesen Augen verlieren konnte, wenn man nicht aufpasste.
»Los, probieren Sie schon. Keine Angst, ich pflege meine Gäste nicht zu vergiften.«
Sven konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Und obwohl er modische Experimente und zeitgeistige Dekorationen in Bezug auf Essen hasste, wandte er sich dem Fisch zu. Katarina beobachtete ihn zufrieden. Sie wusste, er würde ihre Kreation mögen.
Doch als in diesem Moment das Zwölf-Uhr-Läuten der nahe gelegenen Tyska Kyrkan begann, war ihr klar, dass sie nun endgültig viel zu spät dran war und wirklich keine Zeit mehr hatte, auf seine Reaktion zu warten, wenn er den ersten Bissen im Mund hatte.
Sie rannte einfach los. Quer über den kleinen Platz. Ar der Ecke zur Stora Nygatan blieb sie doch noch einmal stehen. Sie konnte es sich nicht verkneifen, noch einen schnellen Blick zurück auf den Gast zu werfen. Allerdings hatte sie nicht erwartet, dass auch er hinter ihr hersehen würde. Und wurde jetzt unerwartet mit dem Blick seiner blauen Augen konfrontiert. Sie stand ganz still. Nur einen kleinen Moment lang. In dem ihr dieser intensive Blick fast den Atem stocken ließ. Wieso war ihr denn gar nicht aufgefallen, wie gut dieser Mann aussah? Sekundenlang verhakten sich ihre Blicke ineinander. Dann lächelte er leicht. Und wandte sich endgültig dieser interessanten Kreation auf seinem Teller zu.
Sven probierte vorsichtig ein kleines Stück des weißen Fischfleisches. Es schmeckte ein wenig nach der kühlen Ostsee, wie erwartet. Doch über den bekannten Geschmack legte sich der fremde Hauch einer unerwarteten Gewürzkomposition. Nur ein Hauch, der den Fischgeschmack irgendwie... er wusste gar nicht, wie er es nennen sollte... ja, abrundete, das war es. Es ergab sich ein verblüffend harmonischer, runder Geschmack. Nochmals sah Sven zu der Ecke hin, an der Katarina gerade noch gestanden hatte. Doch die Frau war verschwunden. Schade, er hätte ihr gerne seine Zufriedenheit signalisiert. Dieser Fisch war wirklich eine Offenbarung.
Der Himmel über Stockholm war von diesem unerhört tiefen Sommerblau. Über den schönen alten Häusern der Stadt lag die lichte Sommeratmosphäre, die Katarina manchmal beinahe vergessen ließ, dass auch dem schönsten, wärmsten Sommer zwangsläufig ein dunkler, eisiger Winter folgen würde. Seit sie vor fast zehn Jahren nach Stockholm gekommen war, liebte sie die Stadt im Sommer ebenso sehr, wie sie sie im Winter hasste. Nicht, dass sie mit der Kälte nicht klarkommen würde. Sie war Schwedin, sie war daran gewöhnt. Doch die Winter in der Stadt waren einfach etwas anderes als die Winter auf dem Land. Sie stammte aus Dalarna, dem Landstrich in der Mitte Schwedens. Sobald es dort zum ersten Mal schneite, war es, als lege sich ein Zauber über die Landschaft. Der Schnee brachte ein geheimnisvolles Schimmern in die langen dunklen Nächte, wie ein glitzerndes Tuch lag er über den Wiesen und Wäldern. Und die Seen, diese vielen Seen ihrer Heimat, lagen unter einer klaren Eisschicht, die leise knisternd von den Geheimnissen ihrer Bewohner wisperte. Wie oft hatte Katarina im Winter Heimweh nach Dalarna.
Doch jetzt war Sommer. Die Stadt glänzte in voller Pracht. Und Katarina stand im Stau, der sich wie immer auf der Skanstull-Brücke bildete. Sie verwünschte zum wiederholten Male ihre Unfähigkeit, auf die Zeit zu achten. Sie würde sich das unbedingt abgewöhnen müssen. Sagte sie sich und wusste gleichzeitig, wie aussichtslos dieser Vorsatz war.
Doch jetzt kam plötzlich Bewegung in die Kolonne. Und wie immer, keiner wusste warum, löste sich die Autoschlange genauso unerwartet auf, wie sie sich gebildet hatte. Katarina gab erleichtert Gas. Jetzt war es nicht mehr weit.
Kaum fünf Minuten später bog ihr alter, dunkelroter Volvo-Kombi in den Handelsvägen ein und stoppte vor der Enskede-Schule. Katarina sprang eilig aus
Weitere Kostenlose Bücher