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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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mir:
    Noch nicht zu Ende, noch nicht,
    Nur der Lebensfaden verkürzt.
    Im zwölften Waggon, abermals,
    Schlägt einer was zu trinken vor.
    Und du, klar, hast nicht abgesagt, nicht wahr? – erkundigte sich der Redakteur und Poet. Dir wird was angeboten, und du trinkst. Was hätte ich diesem Esel antworten können? Ich raffte meine mit der Schreibmaschine abgetippten Gedichte zusammen, klemmte die Mappe unter den Arm und bewegte mich auf die Tür zu. He, warte! – rief er unvermutet. Ich drehte mich um. Er öffnete irgendein Schränkchen, das beinahe wie ein Geheimfach aussah, und goss eine goldbraune Flüssigkeit in eine Kaffeetasse. – Trink! – Ich trank, ich war nicht sehr stolz! Auch er leerte ein Glas. Wir rauchten. – Sie sind ziemlich widerlich, deine Gedichte, sagte er. – Ich weiß, ich weiß, jeder hat seine trüben Tage. Aber du, reiß dich zusammen, fühl Verantwortung! Vergiss nicht, in welchen Zeiten wir leben. Und so weiter und so fort. – Alle seid ihr so: Dekadente, Nihilisten, seufzte dieser Äskulap der Poesie. – Wenn ich mich da an meine Jugend erinnere … Aber lassen wir das, das ist jetzt nicht von Belang. Was dann noch kam, klang, als wäre es einer Mitschrift aus den Seminaren und Vorlesungen des Gorkij-Instituts entnommen. Und der becherte wirklich mehr als ich, er konnte es sich offenbar leisten. Tränensäcke unter den Augen, die Lippen seltsam zusammengekniffen. Aber bevor ich ging, bedankte ich mich – für den Kognak und für die Unterweisung, wie auch nicht. Und was übrigens die »Röcke« betraf, da verliebte ich mich in solche, die nicht einmal in meine Richtung zu blicken gedachten. Ganz zu schweigen von näheren Beziehungen, Spaziergängen durch den herbstlichen Park, geistvollen Gesprächen und Besuchen von Kunstausstellungen!
    Aber Gewissensbisse waren da keine mehr, und Ellis Vater war ich nicht mehr böse. Nach Ende der Semesterferien wohnte ich bei einem Menschen, der tatsächlich schon lange von Hämorrhoiden geplagt wurde, obwohl er kein Intellektueller war. Er war Schreiner. Bei einer Flasche billigen Weins, später brachten wir noch einige auf den Tisch, lachte er über die von mir zusammengetragenen Informationen über die Krankheit. Er selbst schämte sich kein bisschen wegen dieser Sache, lebte wie alle. Erzählte, dass er sogar dreimal zur Operation musste. Unangenehm, aber was soll man machen. Ob er denn aussehe wie ein Päderast, fragte mein guter Hausherr Gerardas Brūklys freimütig. Sagt dir allein mein Nachname nichts? [20] Was macht’s, dass ich allein lebe. Die Kinder sind erwachsen, die Alimente abgezahlt, Weiber zuhauf. Eh, gehst du noch ein Bier holen?
    Ich hatte mich beruhigt, als habe eben erst ein Ärztekonzil offiziell bekannt gegeben, dass man sich in der Diagnose schrecklich geirrt habe und nun öffentlich Abbitte leisten müsse. Ich möge ruhig leben und schaffen. Das tat ich denn auch. Obwohl so ein ellenlanger Historiker, Lengvinas hieß er, mir einmal von weitem, besoffen natürlich, zurief: He, du. Wie sieht’s aus in deinem Arsch? Das Paradies [21] , was? Rein körperlich fühlte ich mich Lengvinas hoffnungslos unterlegen, er war ein kräftiger Kerl, beinahe zwei Meter, und hatte bereits gedient. Deshalb benahm ich mich wirklich schrecklich – ich ruinierte ihm seine akademische Karriere. Unter seinem Namen, Valentinas Lengvinas, veröffentlichte ich in der Studentenzeitung eine Reihe von Gedichten, selbst heute möchte ich nicht sagen, wie ich das bewerkstelligte. Die poetischen Bekundungen waren tränenreich und voll melancholischer Verzweiflung. Lengvinas geriet in eine ähnliche Situation wie ich: Er hasste Gedichte, doch konnte er es nicht beweisen, alle beginnenden Poeten sind ja Heimlichtuer! Das Ergebnis war verheerend. Wer eben konnte, machte sich über Lengvinas lustig, zitierte seine Perlen, wie etwa diesen Vierzeiler:
    Wir toben, tollen, gaffen,
    Färben Haare und Brauen.
    Gut, das wir es nicht schaffen,
    nicht unsren Augen zu trauen.
    Den entnahm ich dem Übungsheft irgendeiner Studentin. Die anderen habe ich selbst fabriziert. Zu leiden hatte Lengvinas. Er versprach dem eine Prämie, der den wirklichen Autor dieser Publikation herausfinden würde: einen Kasten Bier! Lengvinas, der schrecklich eitel war, litt beinahe so, wie ich unlängst noch gelitten hatte. Nur litt ich an den vermeintlichen Hämorrhoiden, er an der Lyrik, die ihm anhing. Die zitierte Strophe gehört zu dem Gedicht »Augen der Unschuld«. Lengvinas

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